„Auf dem Shopfloor passiert von Seiten HR noch zu wenig“

Ein Gespräch mit Martin Pöhland, Personalleiter bei der Robert Bosch Lollar Guss GmbH, über die Einbindung gewerblicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in moderne HR-Prozesse

Berlin, April 2018. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den direkten Bereichen, sprich vom Shopfloor, stärker in innovative HR-Prozesse einzubeziehen ist das Ziel von Martin Pöhland und seinem Team beim DGFP-Mitgliedsunternehmen Robert Bosch Lollar Guss GmbH. Im Jahr 2017 haben sie dafür den sogenannten Team-Staffing-Ansatz auf dem Hallenboden ausprobiert und ihn Anfang dieses Jahres zum Standard-Einstellungsprozess im Bereich der gewerblichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etabliert. Ein durchaus mutiger Schritt und dennoch glaubt Pöhland, dass noch mehr möglich ist. Das Problem: HR hat zu viele Vorurteile gegenüber den Kolleginnen und Kollegen vom Shopfloor. Zu Unrecht, wie Pöhland findet. Dabei war auch er gar nicht unbedingt mit dem Gedanken der Partizipation für den gewerblichen Bereich in das Projekt gestartet.

Die Einbeziehung der Shopfloor-Mitarbeiter stand gar nicht von Beginn an im Vordergrund?

Pöhland: Richtig. Gestartet sind wir im Bereich der Führungskräfteentwicklung. Im Vordergrund stand die Frage, wie wir unsere zum Teil wenig greifbaren Führungswerte stärker erlebbar machen können – vor allem für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht jeden Tag auf der strategischen Ebene unterwegs sind. Einer dieser Werte ist beispielsweise das Vertrauen in die Fähigkeiten unsere Mitarbeitenden. Leicht gesagt, aber wie zeigt sich das konkret im Arbeitsalltag? Wir sind auf das sogenannte Team-Staffing aufmerksam geworden, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Auswahl neuer Kollegen einbezieht und in vielen Büro-Bereichen schon genutzt wird. Als ein produzierendes Unternehmen haben wir uns die Frage gestellt, ob das bei uns in den direkten Bereichen auch funktioniert. Aus diesem losen Gedanken wurde immer mehr ein festes Vorhaben. Hinzu kam, dass das nach unseren Recherchen bisher noch keiner auf dem Shopfloor ausprobiert hat. Motivation genug, um das Projekt zu starten.

Wie habt ihr das Projekt aufgesetzt und ausgerollt?

Pöhland: Wir haben den Design-Thinking-Ansatz genutzt, nicht auf der Produktebene, auf der die Methode in der Regel zur Anwendung kommt, sondern im Prozessumfeld. Im ersten Schritt haben wir uns überlegt, wie ein Team-Staffing-Prozess in der Produktion im Prototypen aussehen könnte. Gestartet sind wir ausschließlich mit dem HR-Bereich, ein Fehler, der uns recht schnell ordentlich um die Ohren geflogen ist. Wir hätten vor allem die in den Prototyping-Prozess einbinden sollen, die es am Ende betrifft – die Kolleginnen und Kollegen aus den direkten Bereichen, sprich vom Shopfloor. Das haben wir nachgeholt und auch der Prototyp war danach ein etwas anderer: Er sah eine sehr frühe Einbindung dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bewerbungsprozess vor!

Mit diesem Prototyp sind wir ab Oktober 2017 in den Test gegangen und haben auf diesem Wege in fünf Abteilungen 21 Shopfloor-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter eingestellt, um eine Vergleichbarkeit bzw. Repräsentativität zu haben. Anschließend haben wir alle zusammengeholt, ein Zwischenfazit gezogen und den Prozess noch einmal leicht angepasst. Rausgekommen ist am Ende ein Serientyp, der seit Anfang dieses Jahres der Standard-Einstellungsprozess im Bereich der gewerblichen Mitarbeiter ist. Genutzt wird es aber auch für den Büro-Bereich, obwohl er für den Shopfloor designt ist.

Wie genau läuft der Team-Staffing-Prozess im gewerblichen Bereich ab?

Pöhland: Für jede ausgeschriebene Stelle bilden wir ein Staffing-Team, das aus dem zukünftigen Vorgesetzten, HR und ein bis zwei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besteht, die entweder durch die anderen Kolleginnen und Kollegen gewählt oder vom Vorgesetzten bestimmt werden. Alle Lebensläufe aller Kandidaten werden vorab anonymisiert durch das Staffing-Team bewertet, die besten Bewerber im Anschluss eingeladen. Einen „Kandidatenfilter“ gibt es also zu Beginn nicht! Wir legen dann in den Staffing-Teams die fachlichen und überfachlichen Kriterien fest, nach denen wir auswählen, und klären den Ablauf.

Die strukturierten Gespräche mit den jeweiligen Kandidaten und dem ganzen Staffing Team finden vor oder nach der Schicht statt, also nicht während dieser. Die Teammitglieder bewerten nach festgelegten Kriterien unabhängig und anonym jeden Kandidaten. Hier erfolgt noch keine Diskussion über die Kandidaten!

Nach den Gesprächen gibt es eine Entscheidungsrunde, die durch HR moderiert wird. Erst hier besprechen wir aller Bewertungen und diskutieren die einzelnen Bewerberinnen und Bewerber. Die Entscheidung erfolgt durch Konsent, das heißt, dass keiner widerspricht – im Gegensatz zum Konsens, bei dem alle zustimmen müssen. Ganz wichtig für uns: Es gibt keine Gewichtung oder Hierarchie in der Entscheidungsfindung. Jeder darf sein begründetes Veto einlegen. Im besten Fall erfolgt dann eine Einstellung des Kandidaten bzw. der Kandidatin, natürlich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Mitbestimmung.

Wie sehen die Erfahrungen aus, die Ihr mit dem Team-Staffing-Prozessen im Alltag gesammelt habt?

Pöhland: Wenig überraschend für uns ist tatsächlich ein besserer Teamfit. Wer kann die Passgenauigkeit besser beurteilen als diejenigen, die mit den Bewerbern in Zukunft zusammenarbeiten werden? Diese Rückmeldungen haben wir auch von unseren Kollegen bekommen.

Wir haben im Vorfeld sehr intensiv darüber nachgedacht, ob unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt eingebunden werden wollen. Die Auswahlprozesse, die zwar Arbeitszeit sind, finden in der Regel vor oder nach den Schichten statt. Das bedeutet, die Mitarbeiter kommen früher oder gehen später. Und dennoch sind die Kollegeninnen und Kollegen voll bei der Sache. Sie fühlen sich durch die Einbindung in den Prozess enorm wertgeschätzt. Das ist für uns in der Bewertung des Ansatzes ein ganz entscheidender Faktor.

Ein dritter Aspekt, den wir vorher nicht auf dem Radar hatten, ist unsere Beobachtung, dass die Mitarbeiter sich für die Neuen deutlich verantwortlicher fühlen. Sie haben diese mit ausgewählt und bemühen sich jetzt deutlich mehr um einen guten Start und eine umfassende Einarbeitung.

Hat das Projekt Signalcharakter für andere Standorte und andere Initiativen bei euch im Konzern?

Dies war ein Graswurzelprojekt, das nicht auf Geheiß der Zentrale entwickelt worden ist. Mittlerweile aber hat es die Runde gemacht. Das Interesse an dem, was wir hier machen, ist groß! Wir sind gespannt, ob weitere Standorte im Bosch-Konzern auf diesen Zug aufspringen…

… und mehr innovative HR-Instrumente auf dem Shopfloor anbieten?

Pöhland: Ich glaube, dass wir mehr innovative Instrumente auf dem Shopfloor ausprobieren müssen. Dazu gehören definitiv auch partizipative Ansätze wie unsere. Hier passiert nach meiner Überzeugung noch zu wenig, mehr wäre möglich.

Ich würde uns zwar nicht als Vorreiter bezeichnen, aber wir gehören zu den wenigen, die das wirklich ausprobiert und jetzt auch als Standard eingeführt haben. In anderen Prozessen, die nicht dem HR-Bereich zuzuordnen sind, werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon deutlich stärker eingebunden. Bei HR ist dies bisher leider kaum angekommen.

Aus welchen Gründen ist das so?

Pöhland: Mitarbeitende im gewerblichen Bereich sind bei uns beispielsweise sehr stark an ihre Schicht gebunden und können nicht einfach aus einem getakteten Ablauf herausgezogen werden. Dies ist eine hohe Hürde. Zweitens, und da müssen wir ehrlich mit uns sein, stellt man sich schnell die Frage, ob wir dies allen Kollegen zutrauen. Hier gibt es durchaus Vorurteile gegenüber Shopfloor-Mitarbeitern, was enorm schade ist.

Wir haben mit unserem Projekt bewiesen, dass diese Befürchtungen und Vorbehalte falsch sind. Die Kollegen haben ein hohes Interesse sich einzubringen und die für sie und ihre Teams passenden neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Hier geht es neben fachlichen Kriterien um Zwischenmenschliches, um die Chemie, um Menschenkenntnis – und da sehe ich im Urteilsvermögen keine Unterschiede zwischen Büro und Shopfloor!

 

Das Gespräch führte Christian Lorenz, Leiter des Hauptstadt-Büros der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP).

Als DGFP organisieren wir für den 15. Mai in FFM einen thematischen Erfahrungsaustausch zum Thema „Moderne HR-Instrumente und neue Partizipationsmöglichkeiten für Beschäftigte im produzierenden Umfeld“. Interesse? c.lorenz@dgfp.de

Das Interview gibt es hier als PDF.

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