Von Christian Lorenz
Berlin, Oktober 2018. Eigentlich ist das Projekt mehr oder weniger aus der Not heraus geboren worden: Als Ronny Großjohann und Robert Harms bei der Planung einer neuen Fertigung für die Produktion von Brennern für Kraftwerksturbinen vor rund vier Jahren nicht mehr weiterkamen, haben sie sich für einen radikalen Shift entschieden und den klassischen Planungsprozess aufgebrochen. Rausgekommen ist ein agiler Prozess, der innerhalb und außerhalb der Siemenswelt für Aufsehen gesorgt hat.
Mittlerweile sind die Überlegungen zu „Future of Work“ im Konzern ganzheitlich aufgesetzt. Carolin Widenka als Head of Future of Work bei der Siemens AG in München vernetzt die Aktivitäten konzernweit. Trotz der unterschiedlichen Perspektiven sind sich alle drei in den wesentlichen Fragen einig: Für eine langfristige und nachhaltig erfolgreiche Transformation eines Konzerns wie Siemens braucht es sowohl Bottom up-Engagement als auch die Unterstützung aus dem Management. Fehlt eine der beiden Seiten, scheitert der Ansatz. Einig sind sich die drei auch darin, dass „Future of Work“ kein reiner Selbstzweck sein darf. Im Vordergrund stehen wirtschaftliche Aspekte, keine „Sozialromantik“. Klare Worte in einer Debatte, in der häufig genug ein eher unscharfes Bild der neuen Arbeitswelt gezeichnet wird.
Ihr, Robert und Ronny, und Du, Carolin, kommt aus zwei unterschiedlichen Bereichen innerhalb der Siemens-Welt. Während Ihr beiden, Ronny und Robert, in der Fertigung in Berlin-Moabit unterwegs seid, bist Du, Carolin, in der Konzernzentrale in München. Euch verbinde aber die Implementierung von „New Work“ bei Siemens. Wie macht ihr das?
Carolin Widenka: Eigentlich sprechen wir von „Future of Work“ und nicht von „New Work“, da die Definition weitergehend ist und „New Work“ nur ein Teil von „Future of Work“ ist. New Work umfasst die Art und Weise wie wir arbeiten, aber alles, was darüber hinausgeht, zum Beispiel Jobs der Zukunft oder wie Menschen und Jobs zusammenkommen, gehört ebenso zu „Future of Work“. Wir haben also ein ganzheitliches Framework entwickelt, das hilft, die vielfältigen zukunftsorientierten Aktivitäten der unterschiedlichen Einheiten einerseits zu vernetzen und andererseits Struktur in die Diskussion zu bringen. Das heißt auch, wir begleiten die Veränderungen und Aktivitäten und schauen, wo wir die von den Kollegen getriebenen lokalen Initiativen unterstützen können.
…also, so eine, wie die von Ronny und Robert in dem Werk in Berlin. Was habt Ihr vor Ort ganz konkret gemacht?
Robert Harms: Also angefangen hat es 2014 mit einer Art StartUp-Idee. Wir hatten die Idee, den Brenner für unsere Gasturbinen selbst im Werk zu fertigen und haben dann auch eine Investition von rund 12. Mio. € dafür bekommen. Aber schon nach drei Monaten haben wir bemerkt, dass wir mit dem traditionellen Projektmanagement in eine Sackgasse gelaufen sind und vom anfänglichen StartUp-Spirit nicht mehr viel übriggeblieben ist. Also haben wir die Notbremse gezogen, das Projekt gestoppt und sind dann einfach Richtung „Future of Work“ losgelaufen. Mit der Frage „wie würdet ihr es machen“ fing alles an. Unsere Fertigungsmitarbeiter sind seitdem in dem Prozess involviert und wir arbeiten auf Augenhöhe und ohne überflüssige Hierarchie.
Ronny Großjohann: Mittlerweile sind wir aber keine Einzelinitiative mehr, sondern eine ganze Bewegung, die sich mit Unterstützung des Betriebsrats und der Standortleitung auch auf andere Unternehmensbereiche ausgeweitet hat.
…die Idee fing also als Einzelinitiative an. Was ist aus Eurer Sicht wichtiger für den langfristigen Erfolg: der Impuls von der Konzernzentrale oder die Einzelinitiative vor Ort?
Ronny Großjohann: Ich denke, dass es beides braucht. Ehrlich gesagt sind wir da schon ein großes Risiko eingegangen und mussten die Verantwortung tragen. Es braucht eine Sensibilisierung der Führungskräfte und ein „Zulassen“ der Veränderung von Seiten der Konzernzentrale. Aber allein mit einem Impuls von oben ist es auch nicht getan. Es ist am schwierigsten, die Mitte zu erreichen! Daher ist es gut, wenn das Thema von beiden Seiten angegangen wird.
Robert Harms: Wir verstehen das Ganze auch als einen kulturellen Wandel. Es braucht Mitarbeiter, die wachsen und das Unternehmen nach vorne bringen wollen. Auf der anderen Seite aber muss durch die Konzernleitung auch die Grundlage für diesen Spirit geschaffen werden. Die Stichworte sind hier das gegenseitige Vertrauen und die gegenseitige Verantwortung.
Vertraut die Firmenzentrale den Mitarbeitern in solchen Projekten?
Carolin Widenka: Definitiv. Die Veränderung selbst entsteht im Handeln und das kann nur vor Ort passieren. Wir sind ein sehr großer Konzern, sodass die Veränderung an vielen unterschiedlichen Stellen passiert. Wir führen all diese Initiativen und Projekte ein bisschen wie auf einer Plattform für „Future of Work“ zusammen, damit die Kollegen sich austauschen können. Aus der Plattform entsteht nach und nach eine Netzwerkorganisation über die ganz unterschiedlichen Fachlichkeiten hinweg, die für uns einen großen Mehrwert hat: Wir bringen Erkenntnisse aus unterschiedlichen Projekten zusammen, arbeiten zunehmend interdisziplinärer und hierarchieübergreifend zusammen. Es soll nicht nur heißen „schön, was dieser Standort da macht“, sondern wir wollen auch innerhalb des Konzerns voneinander lernen, sodass der Change-Prozess einen ganz konkreten wirtschaftlichen Impact hat.
Ronny Großjohann: Bei „Future of Work“ geht um Wirtschaftlichkeit und nicht um Sozialromantik. Wir nutzen den Unternehmergeist aller Kollegen und wollen die Kreativität und den Erfindergeist wecken! Die Mitarbeiter sind doch auch stolz darauf, wenn sie eigene Ideen eingebracht haben, am Unternehmen teilhaben und konkret zum wirtschaftlichen Erfolg beigetragen haben. Sozial ist daran, dass die Mitarbeiter ihren eigenen Arbeitsplatz sichern können.
…wirtschaftlicher Erfolg ist besonders in der Kraftwerkssparte bei Siemens aktueller denn je. Hat der Wandel deshalb so gut funktioniert?
Ronny Großjohann: Ja! Bei uns im Bereich hat das funktioniert. Die Kollegen haben gemerkt, dass wir uns anpassen und verändern müssen, weil die fetten Jahre erstmal vorbei sind. Aus den Fertigungsmitarbeitern wurden plötzlich Unternehmer, die sich zur Aufgabe gemacht haben, gemeinsam neue Märkte zu erschließen.
Carolin Widenka: Und da setzt die Aufgabe von „Future of Work“ an. Wir müssen uns vorausschauend überlegen, wie man eine Organisation und unsere Mitarbeiter so aufstellen kann, dass wir auch in unruhigeren Zeiten flexibel sind und wirtschaftlich bleiben und uns als lernende Organisation immer gemeinsam mit unseren Mitarbeitern weiterentwickeln. Dabei ist jeder Einzelne gefragt, Verantwortung für sich und das Unternehmen zu übernehmen.
Besteht die Gefahr, dass das Neue so sehr im Vordergrund steht, dass die eigentliche Arbeit bzw. die eigentliche Aufgabe zu kurz kommt oder in den Hintergrund rückt? Drehen wir uns in der Debatte um uns selbst?
Ronny Großjohann: Gut, dass Du es ansprichst. Wir diskutieren so oft über Showrooms, Labs und Workshops, dass man den Eindruck hat, „Future of Work“ sei ein reiner Selbstzweck. Aber wir haben neue Prozesse, neue Arten zu arbeiten, direkt in die Produktion implementiert – was aufgrund der Notsituation auch gar nicht anders ging. Und das erfolgreich.
Carolin Widenka: Das Beispiel der Berliner Kollegen zeigt es gut –„Future of Work“ ist kein Buzzword. Es geht um essentielle Fragen zu unser aller Zukunft und die müssen wir ganz konkret in der Praxis gestalten.