DGFP-BVAU // Diskussionsimpuls: Chance für Agilität und Flexibilität

Die Sozialpartnerschaft, und damit ist sowohl die auf betrieblicher wie auch auf tariflicher Ebene gemeint, wird immer wichtiger. Dabei geht es nicht um Dirigismus, Experimentierräume oder Bevormundung, sondern darum, dass die Sozialpartner individueller auf betriebliche Bedarfe reagieren können und viel näher an den Beschäftigten und am Betrieb sind, als es der Gesetzgeber je sein könnte.

Immer individueller werden die Bedarfe der Beschäftigten in den Betrieben. War früher ein einziges Arbeitszeitmodell für alle Beschäftigten akzeptabel, selbst wenn es 40 Stunden und mehr in der Woche sind, sind die Bedarfe heute deutlich unterschiedlicher. Diese Unterschiedlichkeit ist nicht nur ein sukzessiver Prozess, der durch die geänderten Lebensweisen der Generationen erforderlich wird, sondern, und das stellt alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen: Heute treffen unterschiedlichste Anforderungen unterschiedlichster Generationen, die zusammenarbeiten (müssen oder wollen), in einem Zeitpunkt zusammen. So sehr die Lebensmodelle und Arbeitsvorstellungen der Generationen Babyboomer, X, Y und Z abweichen – der Betrieb, die Personalpolitik müssen allen gerecht werden.

Generationalisierung und war for talents

Längst befinden wir uns im „War for Talents“: Die Zeichen sind klar, bei manchen Berufen bekommen Unternehmen schon gar keine Bewerbungen mehr (die Ausbildungsabgänger erwarten, dass man sie an der Hochschule „abholt“), und mit hohem Selbstbewusstsein werden Leistungen schon im ersten Bewerbungsgespräch abgefragt, die vor zehn Jahren noch nicht einmal jeder kannte: Sabbatical, Work-Life-Balance, Umgang miteinander, CSR etwa sind an die Spitze der Bewerberfragen gelangt. Wer hier nicht punkten kann, kann nur noch mit einem „althergebrachten“ Mittel arbeiten, der Vergütung – aber das immer eingeschränkter, zumindest im deutschen Arbeitsmarkt.

Diversifizierung statt one fits all

Die Unternehmen müssen hierauf reagieren, und zwar schnell. Die Wünsche der Generationen wechseln so schnell, dass in der herkömmlichen „Kette“ – Gesetzgeber, Tarifparteien, Betriebsparteien, Einzelvertrag – kaum mehr zügig genug reagiert werden kann. Nur auf betrieblicher Ebene kann wirklich zügig reagiert werden. Und zwar durch Individualvertrag wie auch durch Betriebsvereinbarung. Dabei spricht für die Individualvereinbarung die deutlich schnellere Reaktionsfähigkeit. Aber natürlich unterliegt diesem Modell auch ein gewichtiger Nachteil: Ein Mindestmaß an betrieblicher Ordnung, gleichförmige Behandlung vergleichbarer Fälle, kollektivrechtliche Einführung von Änderungen sind eben nur mit sozialpartnerschaftlichen Instrumentarien bedienbar.

Denn: Die Tarifparteien auf „Makroebene“ und die Betriebsparteien auf „Mikroebene“ sind es, die genau wissen, welche Beschäftigtengruppe welche Bedarfe hat. So ist schnell einsichtig, dass zum Beispiel eine verbindliche Pausenregelung in Betriebsteilen mit körperlich anstrengenden Arbeiten oder die Möglichkeit von Altersteilzeit in solchen Bereichen einen gänzlich anderen Stellenwert hat als bei „Denkarbeitern“. Dabei geht es nicht um zum Beispiel „mehr“ oder „weniger“ Arbeitsschutz, sondern um betrieblich skalierte Umsetzung von Arbeitsschutz.

Das kann der Gesetzgeber kaum skalieren. Der Gesetzgeber ist darauf angewiesen zu regeln, was „typischerweise“ für alle gelten sollte. Nur: Dieses „Alle“ gibt es immer weniger. Das zeigt das Thema Arbeitszeit deutlich: Arbeitnehmer – und zugegeben, auch Arbeitgeber – wollen immer mehr Flexibilisierung. Es geht nicht einmal darum, mehr als 60 Stunden in der Woche zu arbeiten oder die Ruhezeiten auf unter 66 Stunden zu bringen. Aber die starre Aufteilung, maximal zehn Stunden Arbeit am Tag und mindestens elf Stunden ununterbrochene Ruhezeit täglich, das fordern auch Arbeitnehmer häufig aufzubrechen, zum Beispiel zugunsten längerer Pausen tagsüber oder längerer zusammenhängender Freizeiten („langes Wochenende“).

Das können die Tarifparteien nicht durchgängig. Insbesondere die großen Flächentarife, etwa öffentlicher Dienst, Metall und Chemie, sind so diversifiziert, was die in ihnen vertretenen Berufsbilder und Tätigkeiten angeht, dass das Eingehen auf individuelle Bedarfe in den Betrieben kaum möglich scheint. Allerdings haben die Tarifparteien seit Jahren einen Weg beschritten, der Flexibilität ermöglicht: Öffnungsklauseln. Diese zu nutzen, verursacht in den Betrieben zwar zusätzlichen Transaktionsaufwand. Allerdings: Es ermöglicht eben ein skaliertes Vorgehen auf betrieblicher Ebene.

Öffnungsklauseln und Tarifautonomiestärkungsgesetz

Leider meint der Gesetzgeber derzeit, durch weiteres regulatorisches Eingreifen die Tarifstärkung betreiben zu müssen. Genannt sei das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie. Das hierin beinhaltete Mindestlohngesetz setzt die Tarifautonomie teilweise gerade außer Kraft, die Änderungen im Tarifvertragsgesetz mindern den Wettbewerb der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände um ihre Mitglieder, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz erzwingt indirekt die Tarifbindung. Stärkung der Tarifautonomie sieht allerdings anders aus: Den Tarifparteien muss ausreichend Regelungsspielraum gegeben werden, den sie nutzen können, um Mitglieder zu gewinnen und zu halten – und damit die Tarifautonomie zu stärken. Denn das eint letztlich die Tarifpartner: Jeder braucht einen hinreichend starken Tarifpartner, denn sonst sind die einmal vereinbarten Regelungen recht wenig wert – denn in der Umsetzung der Regelungen liegt ihr Wert.

Der Subsidiarität mehr Chancen

Und die Umsetzung erfolgt auf betrieblicher Ebene. Dort eben zeigt sich erst, ob und wie durch Arbeitszeitsenkung in zum Beispiel linear organisierten Betriebsteilen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, ob in anderen Betriebsbereichen mit Mangelberufen aber nicht doch 48 Stunden Regelarbeitszeit erforderlich sind. Ob in einem physisch wie psychisch anfordernden Arbeitsbereich tägliche Arbeitszeit und Ruhezeit sowie Pausen restriktiv gehandhabt werden müssen, um der Arbeitssicherheit Genüge zu tun, oder in einem anderen Bereich die Beschäftigten selbstverantwortlich eine wöchentliche Mindestruhezeit, auch mit Unterbrechungen, selbst organisieren und verantworten können. Dabei geht es nicht um Fragen der Selbstbestimmung, der gern genannten „Mitbestimmung auf Augenhöhe“ oder etwa einem Ruf nach mehr Mitbestimmungsrechten – auch nicht dem Ruf nach weniger hiervon. Es geht darum, dass Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam in der Lage sind, aufgrund ihrer Nähe zum konkreten Arbeitsplatz, die Erforderlichkeiten gemeinsam zu beurteilen – und dann zu regeln.

Fazit

Was wir brauchen, sind langfristig gesetzgeberische Zurückhaltung und Deregulierung. Der Gesetzgeber sollte sich auf Zielvorgaben beschränken, statt Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel die Arbeitszeit en détail regeln zu wollen. Die Sozialpartner auf Tarifebene sind Kenner der Branchen und der in der Branche typischen Möglichkeiten und Gefahren; vernünftige Rahmen sollten hier geregelt werden – wettbewerbsfähig in jeder Hinsicht, auch und insbesondere für ihre Mitglieder. Die Sozialpartner auf der betrieblichen Ebene sind in der Lage, schnell auf sich ändernde Bedarfe zu reagieren, auf den „Wettbewerber von der anderen Straßenseite“, und individuell auf die einzelnen Arbeitsbereiche im Betrieb. Das ergibt für alle Beteiligten echte Handlungsoptionen. Und das macht am Ende die Tarifparteien, die Betriebsratsarbeit, den Standort und den Arbeitgeber attraktiv.

Von Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), Head of HR Policies ABB Deutschland und Lead Global CoE Labour Law ABB, und Katharina Heuer, Vorsitzende der Geschäftsführung, Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP)

Der Text erscheint auch in unserer Zeitschrift PERSONALFÜHRUNG 3/2017.
Alle DGFP // Diskussionsimpulse finden Sie hier zum Download.

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