DGFP // Diskussionsimpuls: Flexibilisierung der Arbeitswelt: Weniger Aufregung, bitte!

. Flexibilisierung und Individualisierung sind die Stichworte unserer Zeit: Wir individualisieren Produkte bis zur Losgröße eins, zeigen uns flexibel bei der Wahl unserer Lebensmodelle und brechen aus tradierten Mustern und bekannten Rollen aus. Zu spüren bekommen wir diese Entwicklungen auf allen Ebenen: Die großen Volksparteien verlieren an Wählern und Mitgliedern, Gleiches gilt für die Kirchen in Deutschland. Hersteller von Autos oder Turnschuhen beispielsweise – um einmal zwei sehr gegensätzliche Produkte zu nehmen – bieten ihren Kunden eine schier unüberschaubare Zahl an Modifikationen und Varianten der jeweiligen Produkte. Kaum eines ist noch wie das andere. Das Kollektiv ist out, es lebe das Individuum!

Berechtigte Forderungen oder bloßer Theaterdonner?

Wen also wundert es, dass auch in der Diskussion über die schöne neue Arbeitswelt beiden Schlagworten eine prominente Rolle zukommt? Ganz konfliktfrei ist dieser Diskurs jedoch nicht: Wittern die einen den Versuch, über den Begriff Arbeiten 4.0 die Arbeitnehmerrechte zu schleifen, können es die anderen kaum erwarten, die Errungenschaften der Flexibilisierung und Individualisierung über jeden und alles auszurollen. Wie so häufig ist die Debatte laut und schrill, viel zu selten sachlich und nüchtern. Was also genau steckt hinter der Diskussion um ein Mehr an Flexibilität und Individualisierung? Berechtigte Forderungen oder bloßer Theaterdonner? Ein Abbau des Arbeitnehmerschutzes oder eine Befreiung für alle? Und was flexibilisieren wir eigentlich – die Belegschaften, das Individuum, die Arbeitszeit, die Arbeitslebenszeit oder den Arbeitsort?

Flexibilisierung und Individualisierung: gelebte Praxis

Wie so häufig ist eine Versachlichung der Diskussion hilfreich. Ein Blick in den Unternehmens- und Arbeitsalltag zeigt, was bereits heute vielerorts ganz unaufgeregt gelebte Praxis ist: In Konzernen sind nicht selten mehrere hundert Arbeitszeitmodelle zu finden, die Arbeitnehmern eine sehr individuelle Ausgestaltung ihrer Work-Life-Balance ermöglichen. Einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge werden flexible Formen der Arbeitszeitregelungen in Deutschland heute schon in rund vier von fünf Unternehmen genutzt. Arbeitszeitkonten, ein wichtiges Instrument der Flexibilisierung, haben den Standort Deutschland neben anderen Faktoren sicher durch die Krise vor wenigen Jahren gebracht. Unternehmen greifen mittels Arbeitnehmerüberlassung oder Dienst- und Werkverträgen auf zusätzliche Arbeitskräfte oder Spezialisten zu, um Auftragsspitzen abzufedern oder Leistungen einzukaufen, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören.

Über alles wurde diskutiert, um manches gerungen, einiges vollkommen zu Recht kritisiert. Diese Instrumente und Ansätze – und nur einige sind hier genannt – ermöglichen es Unternehmen wie Arbeitnehmern aber bereits heute, flexibel und individuell auf ihre jeweiligen Bedürfnisse einzugehen und Lösungen zu finden – wenn sie richtig eingesetzt werden. Um es an dieser Stelle deutlich zu sagen: Eine Flexibilisierung der Beschäftigung auf dem Rücken der Arbeitnehmer ist nicht im Sinne eines verantwortungsvollen Personalmanagements. Uns geht es um den Ausgleich beider Seiten.

Luft nach oben

Also, flexibilisiert und individualisiert genug? Mitnichten! Einige Baustellen sind noch offen, andere noch nicht einmal vermessen. Am Beispiel der mobilen Arbeit zeigt sich gut, was gemeint ist. Eine Errungenschaft der modernen Informationstechnologie kann die Entkoppelung des Mitarbeiters von seinem festen Arbeitsplatz sein. Flexibilisierung und Individualisierung können ihren Ausdruck darin finden, dass die reine Präsenz im Büro nicht mehr entscheidend dafür ist, ob die Arbeitsleistung erbracht werden kann oder nicht. Sicherlich, noch profitieren nicht alle Berufe davon. Der Pförtner oder die Krankenschwester werden auch weiterhin vor Ort gebraucht. Viele andere Tätigkeiten ließen sich aber prinzipiell von überall erledigen.

Die reine Empirie zeigt jedoch keinen klaren Trend hin zum Homeoffice oder zur mobilen Arbeit. Eurostat zufolge arbeiten in Deutschland nur gut zehn Prozent aller Erwerbstätigen manchmal oder regelmäßig von zu Hause. Eine sich nicht signifikant verändernde Zahl, die in keinem Verhältnis zu der Diskussion über das Thema steht. Über die Gründe kann nur spekuliert werden: Fehlen Bereitschaft und Voraussetzung aufseiten der Arbeitgeber? Sind die Arbeitnehmer nicht bereit, ins Homeoffice zu gehen? Flexibilisiert ist die Arbeitswelt an dieser Stelle jedoch lange noch nicht und bleibt hinter ihren Möglichkeiten und Erwartungen zurück, so viel steht fest. Zum Nachteil aller: Unternehmen müssen Büroflächen für Menschen vorhalten, die eigentlich nicht dauerhaft vor Ort sein müssten. Angestellte verbringen ungezählte Stunden mit dem Pendeln. Reine Zeitverschwendung – zumindest aus volkswirtschaftlicher Sicht.

Ähnliches gilt für den Renteneintritt: Von Flexibilisierung, gar Individualisierung sind wir hier weit entfernt. Oft nicht erreicht, bleibt für die meisten jedoch das Ziel das gesetzliche Eintrittsalter. Die Möglichkeit der Arbeit darüber hinaus – in veränderter Form und verändertem Umfang – beginnt erst langsam in den Köpfen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern Raum zu greifen. Hier ist Entwicklungspotenzial, das gehoben werden kann – im Sinne aller. Beide Beispiele aber zeigen auch: Flexibilisierung und damit Individualisierung setzen ein Wollen und ein Können voraus. Wollen Unternehmen und Mitarbeiter tatsächlich? Und lassen es die Rahmenbedingungen, beispielsweise die gesetzlichen, eigentlich zu?

Der gesetzliche Rahmen muss passen

Politisch scheinen die Begriffe Flexibilisierung und Individualisierung aktuell verpönt. Schwer wiegt der Verdacht bei vielen, durch die Hintertür so vor allem Arbeitnehmerrechte abbauen zu wollen. Nicht ganz unberechtigt, wie sich in der Debatte zeigt, und dennoch am Kern vorbeigehend: Die politische Kunst besteht darin, den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit dem Wunsch und der Notwendigkeit flexibler Formen von Arbeit so zu verknüpfen, dass sie beiden Anliegen gerecht wird. In der aktuellen Legislaturperiode scheint das nur bedingt zu gelingen. Mit dem kürzlich zwar entschärften, im Ansatz aber immer noch stark eingreifenden Entwurf zur Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen wird die Bundesregierung keinen Beitrag zur Flexibilisierung des Arbeitsmarkts leisten. Die Botschaft des Gesetzentwurfs ist klar: Werkverträge unterlaufen reguläre Arbeitnehmerverhältnisse und gehören damit eingedämmt. So wahr diese Aussage für einige schwarze Schafe ist, so falsch ist sie für das Gros der Unternehmen. Werk- wie Dienstverträge, aber auch die Arbeitnehmerüberlassung dienen vor allem dazu, Tätigkeiten, die nicht zum Kernbereich des Unternehmens gehören, nach außen zu geben. Notwendig ist eine stärkere Kontrolle, keine schärfere Regulierung. Am Beispiel des Renteneintritts zeigt sich ebenfalls, wie schwer sich die Politik mit flexiblen Lösungen tut. Die Rente mit 63 – ein Kernelement der sozialdemokratischen Regierungsagenda – war bereits kurz nach Amtsantritt beschlossen und umgesetzt. Die Verhandlungen über die sogenannte Flexi-Rente zogen sich deutlich länger hin.

Nicht morgen oder übermorgen, sondern heute

Um nicht missverstanden zu werden: Mit dem Finger nur auf die Politik zu zeigen, wäre zu kurz gesprungen. Für viele Flexibilisierungs- und Individualisierungsansätze ist der Boden bereitet, es gilt, sie aktiv umzusetzen und zu promoten. Gefordert ist wie so oft das Personalmanagement. Gemeinsam mit den Sozialpartnern und dem Business gilt es, Lösungen im Unternehmen und für die einzelnen Berufsgruppen zu finden und aktiv einzuführen, abseits der großen Versprechungen und scharfen Drohungen. Die guten Beispiele sind zahlreich und vorhanden: Sei es für die Flexibilisierung von Belegschaften oder seien es Lösungen für Einzelne bei Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsdauer et cetera. Und: Flexibilität ist per se weder der Abbau des Arbeitnehmerschutzes oder eine Befreiung für alle; es ist das, was die Unternehmen für sich und ihre Mitarbeiter daraus machen. Nicht morgen oder übermorgen, sondern heute!

Von Katharina Heuer, Vorsitzende der Geschäftsführung, und Christian Lorenz, Leiter Hauptstadtbüro, Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP)

Der Text erscheint auch in unserer Zeitschrift PERSONALFÜHRUNG 5/2016.

Alle DGFP // Diskussionsimpulse finden Sie hier zum Download.

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