DGFP // Diskussionsimpuls: Wenn die großen Linien fehlen: Eine Bilanz der Großen Koalition aus Sicht des HR-Managements

Fragt man Unternehmenslenker nach ihrer Wunschkoalition, rangiert die Große Koalition in der Beliebtheitsskala direkt hinter Rot-Rot-Grün unter Führung der Linken. Große Koalitionen neigen dazu, die Anliegen ihrer Koalitionäre im Koalitionsvertrag lediglich zu addieren, ohne einen gemeinsamen Nenner zu bilden. Nicht, dass dies anderen Koalitionen fremd wäre, die mehr oder weniger ausgewogenen Machverhältnisse zwischen Union und SPD aber befördern dieses Verhalten besonders. Entsprechend schlecht fällt das landläufige Urteil aus. Glaubt man der Wirtschaft in Gestalt der großen Verbände, hat die Regierung in Sachen Arbeitsmarkt vor allem eines hervorgebracht: nichts Brauchbares. Überregulierung und unschätzbare Folgekosten drohen das zarte Pflänzchen der Konjunktur permanent im Keim zu ersticken.

Eines muss man der Großen Koalition mit Blick auf HR-relevante Themen zunächst einmal lassen: Sie hat geliefert. Der Koalitionsvertrag ist abgearbeitet, die Vorhaben sind weitgehend umgesetzt. Ob zur allgemeinen Zufriedenheit und zur Zufriedenheit des Personalmanagements im Besonderen, steht auf einem anderen Blatt. Wie fällt sie aus, die Bilanz aus Sicht des HR-Managements? Eine nicht ganz vollständige Übersicht und Bewertung:

DAS WAHLGESCHENK: RENTE MIT 63
Fangen wir mit den Wahlgeschenken an: Die Rente mit 63 dürfte in diese Kategorie fallen. Die Sozialdemokraten bedienenmit dem Slogan „nicht geschenkt, sondern verdient“ ihre letzteverbliebene Kernklientel: den männlichen Facharbeiter. Wer außer ihm kommt sonst auf 45 Beitragsjahre? Akademiker oder Frauen, die Erwerbsarbeit für die Erziehung unterbrochen haben, wohl kaum. Die Rente mit 63 ist aus Sicht des Personalmanagements aus dreierlei Gründen nicht gelungen. Erstens: Auch wenn einige Unternehmen sie als willkommenen Anlass zur Frühverrentung nehmen (werden), die Rente mit 63 setzt ein völlig falsches Signal. Eine älter werdende Gesellschaft wird entsprechend länger arbeiten müssen, nicht andersherum. Zweitens: Sie steht der Idee der Generationengerechtigkeit diametral entgegen. Die zusätzlichen Kosten müssen im Wesentlichen die Jüngeren schultern. Drittens: Sie ist als Instrument der Personalpolitik ungeeignet. Spitz formuliert: Wer mit 63 noch arbeiten kann, kann es auch mit 65. Was wir brauchen, ist ein flexibler Übergang in die Rente, damit die, die wollen, länger können, und die, die nicht mehr können, nicht mehr müssen, ohne dabei in Altersarmut zu geraten. Ein pauschales „nach 45 Beitragsjahren könnt ihr gehen“ ist das, was es ist: ein Wahlgeschenk.

DAS ÜBERFÄLLIGE: MINDESTLOHN
Den Mindestlohn indes in diese Kategorie zu sortieren, fällt schwer. Vielmehr hat die SPD ein Wahlversprechen eingelöst, das sie gegenüber den Gewerkschaften abgegeben hat. In der deutschen Wirtschaft hingegen war das Thema so beliebt wie der Besuch beim Zahnarzt. Nach mehr als einem Jahr muss man jedoch konstatieren, dass die große Pleitewelle ausgeblieben ist. Das Gros der deutschen Unternehmen scheint vom Mindestlohn nur sehr indirekt betroffen zu sein. Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden: Natürlich gibt es Unternehmen aus einzelnen Branchen und Regionen, die der Mindestlohn in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt. Nur in Gänze betrachtet waren die Szenarien, die im Vorfeld gezeichnet wurden, übertrieben. Auch sei an dieser Stelle die Frage erlaubt, ob ein Geschäftsmodell, das auf Stundenlöhne von unter 8,50 Euro setzt, wirklich ein tragfähiges ist. Aus Sicht der Personaler wohl kaum! Der Mindestlohn also war wohl überfällig.

Handwerklich schlicht unsauber – und hier ist die Kritik nachzuvollziehen – hat man beim Mindestlohn bei den Aspekten Praktika und Nachweispflicht gearbeitet. Die völlig überzogenen Regelungen für die Entlohnung von Praktikanten führen dazu, dass deutlich weniger eingestellt werden. Ein für beide Seiten – Arbeitgeber wie Berufseinsteiger – sinnvolles Instrument wird damit beschädigt. Wenn mittlerweile auch entschärft, hat ein überzogener Dokumentationszwang zu einem deutlichen Anstieg der Bürokratie in den Unternehmen geführt. Auch hier hätte man sich aus Sicht des Personalmanagements von vornherein mehr Sinn für die unternehmerische Realität gewünscht.

DIE KOLLEKTIVBESTRAFUNG: ARBEITNEHMERÜBERLASSUNG
UND WERKVERTRÄGE

In die Kategorie „Kollektivbestrafung“ hingegen fällt die Novellierung der gesetzlichen Grundlagen für Arbeitnehmerüberlassung Wenn die großen Linien fehlen: Eine Bilanz der Großen Koalition aus Sicht des HR-Managements PERSONALFÜHRUNG 10/2016 und Werkverträge. Ohne Frage: Die in bestimmten Branchen angewendeten Praktiken beim Einsatz von Werkverträglern sind nicht haltbar. Deswegen jedoch das gesamte Werk- und Dienstvertragswesen in Misskredit zu bringen, ist fahrlässig. Das Instrument wird täglich tausendfach eingesetzt ohne den Hintergedanken des Lohndumpings.

Hier scheint der Sturm der Entrüstung zumindest teilweise Wirkung gezeigt zu haben. Der zunächst geplante Kriterienkatalog zur leichteren Identifizierung von verdeckter Leiharbeit ist vom Tisch, die Mitbestimmung der Betriebsräte ist nie wirklich auf den selbigen gekommen. Am Rande sei angemerkt, dass das Personalmanagement ein ganz anderes Problem hat, wenn der Einkauf von Arbeitsleistungen über die Einkaufsabteilung der Unternehmen gesteuert wird. Aber dies ist ein anderes Thema.

DAS QUÖTCHEN: DIE GESCHLECHTERQUOTE
Das Bundesfamilienministerium unter Führung von Manuela Schwesig hat uns die Frauenquote gebracht. Mit der gesetzlich festgeschriebenen Geschlechterquote hat die große Koalition zwar erstmals verbindliche Zahlen für Aufsichtsräte vollmitbestimmter Unternehmen festgeschrieben. Auch für Vorstände gelten neue Quotenregelungen. Bei näherer Betrachtung ist der vonseiten der Politik aufgebaute Druck jedoch gering. Die Quote ist lediglich ein Quötchen: Unternehmen können sich diese im Falle der Vorstände selber setzen, bei Nichterreichen drohen keinerlei Konsequenzen. Insgeheim kann man sich fragen, ob die Bundesregierung auf halber Strecke den Mut bei ihrem eigenen Vorhaben verloren hat.

DAS KOMPLIZIERTE: ELTERNGELD PLUS
Das ElterngeldPlus – eine Erweiterung des bestehenden Elterngeldes – verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: Auf der einen Seite soll es Müttern in der Erziehungszeit finanziell die Teilzeit schmackhafter machen, sie also früher an den Schreibtisch oder die Werkbank zurückholen. Auf der anderen Seite soll es durch die Partnermonate auch den Vätern finanzielle Anreize bieten, mehr Zeit für die Erziehung ihrer Kinder aufzuwenden und beruflich kürzerzutreten. Ein hehres Anliegen, gegen das sich kaum das Wort erheben lässt. Allerdings sind die Regeln derart kompliziert geworden, dass kaum jemand durchblickt: In den Kombinationsmöglichkeiten zwischen Basis-Elterngeld, ElterngeldPlus und Partnermonaten verheddern sich Personaler wie Arbeitnehmer regelmäßig. Hier hätte man sich ein wenig mehr „Anwenderfreundlichkeit“ gewünscht.

GROSS PLUS GROSS NICHT GLEICH GROSSES
Dass nicht zwangsläufig etwas Großes rauskommen muss, wenn man Groß und Groß addiert, zeigt sich mit dem Blick auf die aktuelle Legislaturperiode. Im arbeitsmarktpolitischen Bereich – und nur der stand hier im Fokus – hat die SPD ihre Wahlgeschenke verteilt und ihre Wahlversprechen zum größten Teil eingelöst. Die Arbeitsmarktpolitik trägt klar die Handschrift der Sozialdemokraten, die Union war überwiegend Zaungast. Die Bilanz fällt gemischt aus: Rente mit 63 und die Novellierung der Arbeitnehmerüberlassung und des Werkvertragsrechts sind Murks, der Mindestlohn hat den Theaterdonner überstanden, die Frauenquote war maximal ein Quötchen. Das ElterngeldPlus ist zu kompliziert.

Eine große Linie, und das ist sinnbildlich für die Große Koalition, ist nicht zu erkennen. Untergegangen – und auch das gehört zur ganzen Wahrheit – ist der Wirtschaftsstandort Deutschland trotz entsprechender Befürchtungen jedoch nicht. Und in der Zukunft? Interessant aus Sicht des Personalmanagements ist vor allem die Frage, wie es mit dem Arbeitszeitgesetz weitergeht. Alle Beteiligten scheinen sich darüber einig, dass vor allem hier Handlungsbedarf besteht. Die gesetzlichen Regelungen bilden schon heute keinen tragbaren Rahmen mehr für den Arbeitsalltag vieler Arbeitnehmer. Die jetzige Koalition wird diese Debatte nicht mehr ernsthaft aufnehmen, die kommende Regierung jedoch muss. Ein geeigneter Zeitpunkt für das politisch bisher nicht besonders laute Personalmanagement sich einzumischen. Wenn nicht dazu, wozu haben wir sonst etwas zu sagen?!

Von Katharina Heuer, Vorsitzende der Geschäftsführung, und Christian Lorenz, Leiter Hauptstadtbüro, Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP)

Der Text erscheint auch in unserer Zeitschrift PERSONALFÜHRUNG 10/2016.

Alle DGFP // Diskussionsimpulse finden Sie hier zum Download.

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