DGFP // Interview: „Die Personalentwicklung hat teilweise den Anschluss an die Realität verloren“

Ein Gespräch mit Dr. Thomas Tillmann, Mitgründer des Unternehmens „Lernhacks“, über die Frage, wie sich Lernen im Unternehmen verändern wird, und über die fehlende Unterstützung für neue Lernformen in Unternehmen.

Berlin, September 2018. Das Lernen in Unternehmen zu verbessern, ist das Ziel und die Aufgabe von Dr. Thomas Tillmann – schon von Berufs wegen. Tillmann, einer der Köpfe hinter den „Lernhacks“, beschäftig sich mit der Frage, wie gutes Lernen im Unternehmenskontext heute und in Zukunft aussehen kann. Er ist davon überzeugt, dass Mitarbeiter mehr und mehr ihr Lernen selbst in die Hand nehmen werden. Erste Ansätze sieht er hier bereits heute, jedoch noch keine flächendeckende Bewegung. Mit der institutionellen Personalentwicklung in den Unternehmen geht Tillmann hart ins Gericht, wenn er konstatiert, dass sie – zumindest in Teilen – den Anschluss an die Realität verloren hätte.

Was kann man unter „Lernhacks“ verstehen?

Tillmann: Lernhacks sind eine Sammlung von Tools, um selbstgesteuertes, eigenverantwortliches Lernen zu organisieren. Als Berater unterstütze ich viele Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Lernangebote. Vordergründig geht es dabei sehr stark um die Digitalisierung des Lernens, aber die dahinter liegende Veränderung ist noch viel umfassender. Und zwar geht es um eine Verlagerung der Verantwortung für die Entwicklung von Mitarbeitern – weg von der Personalentwicklung hin zum einzelnen Mitarbeiter. In Zukunft wird das Lernen immer mehr Eigenverantwortung erfordern, aber viele Mitarbeiter tun sich noch schwer damit – nicht zuletzt, weil die Mitarbeiter in der Vergangenheit von den Unternehmen anders konditioniert worden sind. Bei den Lernhacks geht es darum, die Mitarbeiter mit gesammelten und aufbereiteten Tools dabei zu unterstützen, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen.

Wie sieht das konkret aus?

Tillmann: Es gibt ganz verschiedene Beispiele. Nehmen wir ein einfaches Framework, womit ich reflektieren kann, was ich am Tag gelernt habe und welche Lernchancen der nächste Tag bereithält. Man kann mit den Frameworks herausfinden WAS ich lernen will, WARUM ich lernen will und WIE ich es lernen kann oder will. Andere Lernhacks hingegen sind eher auf Teamebene angesiedelt und zeigen Mitarbeitern, wie man als Team von- und miteinander lernen kann. Wieder andere orientieren sich an den Führungskräften.

Die Lernhacks sind auf verschiedene Ebenen, Größen und Bedürfnisse ausgerichtet, aber alle sind handhabbare, konkrete Dinge, um mehr Verantwortung für mein eigenes Lernen übernehmen zu können. Die Mitarbeiter müssen in Zukunft noch viel stärker selbst verstehen, wohin sie sich entwickeln wollen. Dafür muss der einzelne Mitarbeiter aber zunächst mehr Zutrauen in seine eigene Entwicklungsfähigkeit bekommen.

Ihre These ist, dass Mitarbeitererst einmal angeleitet werden müssen, anders zu lernen, da sie bisher anders konditioniert wurden. Nehmen Sie denn bereits eine Veränderung des Lernens wahr?

Tillmann: Nun, das Lernen muss sich verändern. In der Vergangenheit war die Leitvorstellung von Personalentwicklung die, dass die HR Abteilungen das Personal weiterentwickeln. Das steckt ja im Wort „Personalentwicklung“. Aber in den Unternehmen gibt es immer weniger homogene Gruppen von Mitarbeitern und das Lernen wird immer mehr zum Prozess des Einzelnen, sodass die zentral gesteuerten Maßnahmen mit dem heutigen Tempo kaum noch eine Wirkung entfalten können. Wir müssen aus den künstlichen Lernsilos ausbrechen und weg von den linearen Lernprogrammen! An diese Stelle muss ein anderer Ansatz treten: Der Einzelne muss verstehen, was er Lernen kann und will und muss vom Unternehmen das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, aber auch das entsprechende Rüstzeug in die Hand bekommen…

… Also nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe?“

Tillmann: Ja, aber der Ausdruck „Lernen zu Lernen“ hat so etwas Bevormundendes. Im Kern geht es bei den Lernhacks nicht um völlig abwegige Dinge, sondern um Praktiken, die bisher bereits intuitiv im Alltag angewendet werden. Wenn ich etwas nicht weiß, dann schaue ich es nach oder frage einen Kollegen – schon habe ich etwas gelernt. Wir müssen solche Praktiken sammeln und sichtbar machen und damit so abstrakte Begriffe wie „Lernkultur“ greifbar machen.

Wir sprechen bisher von „so sollte es sein“. Aber wie sieht die Realität in den Unternehmen aus?

Tillmann: Ich habe kein einheitliches Bild. Man könnte pessimistisch sein und sagen, es herrschen noch immer die althergebrachten Formen von Weiterbildung vor. Aber man muss auch sehen, dass es neue Ansätze gibt und die Mitarbeiter sich bereits in Grassroots-Initiativen neu organisieren. So bilden Mitarbeiter Erfahrungsgruppen und Austauschforen – bisher allerdings noch weitgehend ohne die Unterstützung der Unternehmen. Wenn man es drastisch formulieren will, kann man sagen, dass die Personalentwicklung teilweise den Anschluss an die Realität verloren hat.

Können Sie ausmachen, bei wem ein Umdenken am nötigsten ist und wie erreichen Sie überhaupt die Unternehmen?

Tillmann: Ein Weg geht über die Führungskräfte. Die spielen als Vermittler und Role Models eines veränderten Lernens im Unternehmen eine große Rolle. Andere Themen funktionieren über ein Onboarding mit agilem Arbeiten oder einem Andocken an bisher bestehende, klassische Weiterbildungsangebote. Wichtig ist, dabei nicht aus dem Blick zu verlieren, welchen Mustern das Lernen im Unternehmen in Zukunft folgen soll. Für die Unternehmen ist es schwer, die Steuerung abzugeben und die Mitarbeiter sich selbst entwickeln zu lassen.

Wir reden viel über die Themen „selbstbestimmtes Lernen“ und „Weitergabe von Erfahrung“. Neue Konzepte wie „Working Out Loud“ sind im Kommen, klassische Seminare rücken in den Hintergrund. Wie wird sich das Lernen in den kommenden fünf Jahren verändern?

Tillmann: Ich glaube an das 360-Grad-Lernen. Wir müssen begreifen, dass uns eine Vielzahl an Formaten und Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die wir je nach Bedarf nutzen können. Es geht nicht um digital vs. analog oder Webinar vs. Präsenz. Diese Grabenkämpfe haben in der Vergangenheit nichts bewirkt! Wir schaffen es doch auch schon, uns per Video oder Telefon zu Meetings zu schalten, bei anderen Gelegenheiten wollen wir uns persönlich treffen. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit können auch unterschiedliche Formate zum Lernen kombiniert werden. Man muss nicht vor der Entscheidung digital oder analog stehen, weil es nicht die Entscheidung zwischen Zukunft und Vergangenheit ist. Die Entscheidung der Zukunft ist, ob wir es schaffen, die Chancen und Ressourcen bestmöglich zu nutzen.

Das Gespräch führte Christian Lorenz, Leiter des Hauptstadt-Büros der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP).

Wer Dr. Thomas Tillmann als Referent beim DGFP // congress am 15. und 16. November 2018 in Köln erleben will, findet alle Informationen unter congress.dgfp.de

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