DGFP // Interview: „Man kann das Gespräch über die Zukunftsfähigkeit der Mitbestimmung nicht mit Kritik an der Gegenseite eröffnen!"

Ein Gespräch mit Peggy Schreiber-Geyer und Gunnar Rothenburg von der Deutschen Bahn.

Berlin, Januar 2019. Peggy Schreiber-Geyer, Leiterin der Koordinierungsstelle „Konzernweite Mitbestimmung“, und Gunnar Rothenburg aus dem Bereich Personalstrategie und Diversity bei der Deutschen Bahn AG haben sich als Vertreter der Arbeitsgruppe „MitbestimmungPLUS “ zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit der Betriebspartner bei der Bahn konzernweit fit für das digitale Zeitalter zu machen. Kein ganz einfaches Unterfangen in einem Unternehmen dieser Größe. Und dennoch sind sie davon überzeugt, dass Themen wie Digitalisierung und Automatisierung nicht nur im klassischen Produktionsbereich zu tiefgreifenden Veränderungen führen, sondern ganz maßgeblich auch die innerbetriebliche Mitbestimmung vor neue Herausforderungen stellen werden.

Für das Projekt wurden sehr moderne Wege beschritten: Neben einem gemeinsamen Belegschaftsaufruf von Vorstand und Konzernbetriebsrat, über eine völlig neue Projektorganisation bis hin zur paritätischen Entwicklung und Ausgestaltung von Ideen für eine moderne Mitbestimmung hat die Arbeitsgruppe „MitbestimmungPLUS“ erste Antworten auf Zukunftsfragen der Mitbestimmung skizziert und sich vorgenommen, den dadurch angestoßen Prozess weiter zu beleben.

Seit rund vier Jahren treiben Sie bei der Deutschen Bahn das Thema Mitbestimmung 4.0. Was war Anlass?

Rothenburg: Wir beschäftigen uns bereits seit langem mit einer sich verändernden Arbeitswelt in unserer Initiative „Arbeitswelten 4.0“. In diesem unternehmensübergreifenden Expertennetzwerk fokussieren wir die Arbeitswelt von Morgen – und damit Themen und Herausforderungen, die wir im Alltagsgeschäft so (noch) nicht überall konkret erleben, von denen wir aber ausgehen, dass sie auch unseren Konzern betreffen werden. In diesem Zusammenhang war es nur folgerichtig, sich auch mit Veränderung in der Mitbestimmung zu befassen. Wenn man so will, ist dies die Geburtsstätte des Projektes „MitbestimmungPlus“. Angestoßen wurde das Ganze von unserem damaligen Personalvorstand Ulrich Weber und dem KBR-Vorsitzenden Jens Schwarz. Es liegt auf der Hand, dass wir auch die Mitbestimmung weiterentwickeln müssen, wenn unsere Organisationen immer agiler werden.

Unsere Schirmherren haben hierfür einen eher ungewöhnlichen Weg gewählt und nicht die üblichen Experten befragt, sondern sind auf die Belegschaft zugegangen und haben ihre Wünsche, Anregungen und Ideen zum Thema „Mitbestimmung der Zukunft“ erfragt. Wir haben dann eine paritätisch besetzte Arbeitsgruppe gebildet mit jeweils fünf Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern, deren Aufgabe es war, aus den Impulsen der Mitarbeiter Instrumente für eine passgenaue und zukunftsfähige Mitbestimmung zu entwickeln, zu testen und am Ende im Konzern zu implementieren. Warum ist es denn überhaupt nötig, dass ein eingespieltes System der Mitbestimmung transformiert wird? Stößt das klassische System an seine Grenzen?

Schreiber-Geyer: Das ist für uns eine qualitative Frage. Wir müssen anerkennen, dass sich die Arbeitsprozesse verändern und die Ansprüche des Einzelnen, stärker mitzuwirken und Individualisierung im Beruf zu erfahren, eine zunehmend größere Rolle spielen. Das gibt auch der Mitbestimmung einen klaren Arbeitsauftrag.

Moderne Betriebspartnerschaft muss als sicherer fortwährender Rahmen verstanden werden, der Autonomie stärkt und Leitplanken schafft. Dadurch kann Flexibilität in den Köpfen wie auch in den Abläufen gefördert werden. Zukünftige Mitbestimmungskultur muss indes auch „loslassen“ können. Diese Umgestaltung kann nur im konstruktiven Miteinander der Betriebspartner erreicht werden. Wir müssen tradiertes Rollendenken und Frontenbildung überwinden

Haben die Betriebsräte bei so viel Basisdemokratie nicht Angst vor einem Machtverlust?

Rothenburg: Wichtig war für uns, dass im Projektalltag zunächst alle Mitglieder der Arbeitsgruppe ein Stück aus ihren klassischen Rollen heraustreten mussten, um einen gemeinsamen und unverkrampften Blick auf das Thema zu ermöglichen. Denn man kann das Gespräch über die Zukunftsfähigkeit der Mitbestimmung nicht mit Kritik an der Gegenseite eröffnen. Mithilfe von Design-Thinking-Methoden haben wir dann ein besonderes Projektverständnis gefunden und waren so in der Lage, uns ergebnisoffen an das durchaus hochsensible Thema heranzutasten, was aus heutiger Sicht ein enormer Erfolgsfaktor ist.

Schreiber-Geyer: Im Laufe der gemeinsamen Arbeit haben wir festgestellt, dass unsere Form der Zusammenarbeit an sich schon etwas Prototypisches in sich trägt.  Wir entwickeln die Ideen nicht hinter verschlossenen Türen, sondern erarbeiten und erproben sie gemeinsam mit den Betriebspartnern direkt vor Ort. Wir denken gemeinsam, wir entwickeln gemeinsam und scheitern zuweilen auch gemeinsam. Diese Form des Zusammenwirkens, der offene Umgang mit dem Thema „Mitbestimmung“ und die Parität der Arbeitsgruppe haben dabei geholfen, Vorbehalte und Ängste abzubauen bzw. solche erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Was haben Sie konkret geplant und umgesetzt?

Rothenburg: Wir haben die Ideen und Vorschläge, die Bedürfnisse und Perspektiven der Mitarbeiter in vier zentrale Themencluster gebündelt und innerhalb dieser Cluster einzelne Prototypen entwickelt.  1. Wie kommen wir mit dem klassischen (analogen) Beteiligungsprozess tatsächlich im 21. Jahrhundert an? Stichwort „Digitalisierung von Prozessen und papierloses Büro“. 2. Wie beteiligen wir die Interessenvertretungen in agilen Organisationsformaten, in der digitalen Arbeitswelt und iterativen Entwicklungsprozessen „rechtzeitig und umfassend“? Stichwort: Frühzeitige Einbindung. 3. Haben diese veränderten Rahmenbedingungen auch Auswirkungen auf das Rollenverständnis beider Betriebsparteien? Stichwort „Rahmengeber“. 4. Wie gehen wir mit immer stärker werdender Individualität im bestehenden kollektivrechtlichen Kontext um? Stichwort: „Partizipation“. Alle diese Ideen werden unserseits im bestehenden Rechtsrahmen ausgestaltet. Die, zugegebene durchaus reizvolle Aufgabe, auch Impulse für Veränderungs- und Anpassungsvorschläge des Betriebsverfassungsgesetzes zu unterbreiten, waren auf Wunsch unserer Schirmherren „out of scope“. Das war einerseits tatsächlich eine Herausforderung, zugleich aber auch ein Anreiz, um die Grenzen des bereits heute Möglichen auszuloten.

Und auf Grundlage dieser Cluster wurden dann Einzelmaßnahmen abgeleitet?

Rothenburg: Der zentrale Anspruch in unserer Arbeitsgruppe war - und ist es weiterhin -, die Ideen und Prototypen gemeinsam vor Ort zu entwickeln, also genau dort, wo die Betriebsparteien jeden Tag das operative Geschäft verantworten und die Mitbestimmung gelebt wird. Beispielsweise haben wir ein neues Modell für Betriebsversammlungen sehr erfolgreich getestet, dass wir Townhall-Meeting nennen. Wir haben zudem neue Qualifizierungsformate geschaffen, mit denen wir die Zusammenarbeit der Betriebsparteien methodisch und inhaltlich unterstützen. Hier sind wir bereits sehr weit. Beim Thema Digitalisierung von Beteiligungsprozessen befinden wir uns derzeit noch in der Entwicklungs bzw. Programmierungsphase, stehen aber auch hier kurz vor dem Prototyping.

Sehen Sie überhaupt eine Chance, dass diese Prototypen dann in einem heterogenen Konzern wie der DB AG auch tatsächlich implementiert werden können?

Schreiber-Geyer: Aber ja. Wir haben bei der Prototypenerstellung immer die Vielfalt des Konzerns im Blick. Denn das Ziel und die Aufgabe der Arbeitsgruppe ist es natürlich, dass das, was wir gemeinsam entwickeln und prototypisieren, am Ende überall im Konzern angewandt werden kann. Deshalb sind die Instrumente so gebaut, dass sie überall adaptiert werden können und dass jeder von den Instrumenten profitieren kann. Dabei verfolgen wir allerdings den Ansatz „Überzeugen statt Anordnen“, das bedeutet, alle Instrumente stehen den Betriebspartnern vor Ort auf freiwilliger Basis zur Verfügung und können damit passgenau wie anlassbezogen eingesetzt werden. Gunnar Rothenburg und ich sind Ansprechpartner für das Thema und begleiten gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen die Projektkommunikation im Konzern und unterstützen die Betriebsparteien beim Ausprobieren der Formate. Die Nachhaltigkeit solcher Netzwerke, Arbeitsgruppen und Ideen ist elementar für den Erfolg nicht nur unseres Projektes.

Wo stehen Sie konkret mit dem Projekt?

Schreiber-Geyer: Aktuell entwickeln wir mit unserem konzerneigenen Software-House einen Workflow für eine digitale Unterstützung der innerbetrieblichen Zusammenarbeit. Derzeit befassen wir uns mit der sog. technischen Architektur des Ganzen, dem wird sich eine erste Testphase – natürlich vor Ort gemeinsam mit den Betriebspartnern – anschließen. Darüber hinaus skizzieren wir nachhaltige Möglichkeiten, um das wachsende Bedürfnis nach Individualisierung in einem gleichermaßen gestärkten kollektivrechtlichen Rahmen zu befördern.

Uns ist bewusst, dass wir hier wirklich lediglich erste Antworten auf wichtige Zukunftsfragen gefunden haben, daher werden wir uns 2019 auch thematisch weiterentwickeln und neue Ideen und Ansätze aufgreifen. Mitbestimmung und Partizipation ist und bleibt auch in modernen Arbeitswelten der Garant für eine gelungene Verknüpfung von Mitarbeiterzufriedenheit und Unternehmenserfolg. 

 

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