PERSONALFÜHRUNG // Herausgeber-Interview: „Effektiver, effizienter und schneller"

Oliver Maassen über den Wandel von HR, Ausbildung 4.0 und die Vorbereitungen auf eine schwächere Konjunktur

Die Digitalisierung gehört bei TRUMPF schon seit Jahren zum Geschäftsmodell. Mit dem „Ausbilder Industrie 4.0“ hat das Unternehmen vor kurzem eine Funktion geschaffen, die alle digitalen Inhalte der verschiedenen Ausbildungsrichtungen koordiniert und für die Betreuung der Auszubildenden und dual Studierenden verantwortlich ist. Auf nachlassende Aufträge und eine schwächere Konjunktur hat sich TRUMPF mit drei Szenarien vorbereitet. Auf die Stufe eins – nachlassende Erträge – reagiert der Hersteller von Werkzeugmaschinen und Lasern mit der Nichtnachbesetzung von Stellen, dem Abbau von Leasingkräften und der gut gefüllten Arbeitszeitkonten.

Als eines der ersten Unternehmen setzt Trumpf in der Ausbildung auf einen „Ausbilder Industrie 4.0“. Was steckt hinter dem Konzept? 
OLIVER MAASSEN Im Wesentlichen geht es um zwei Dinge: Zunächst ist er als klassischer Ausbilder für die IT-Ausbildungsberufe und die Studierenden der dualen Hochschule mit IT-Bezug zuständig. Seine Aufgaben reichen vom Personalmarketing über das Recruiting, die Betreuung während der Ausbildungszeit bis hin zur Begleitung der Übernahme der Absolventen. Die Ausbildung solcher Berufe erfordert auch aufseiten des Ausbilders sehr fundiertes Wissen und tiefgehende Erfahrungen. Zweitens sehen wir die Digitalisierung der Ausbildung selbst als Kernaufgabe. Ein banales Beispiel: Dass wir in der Kennlernlernwoche unserer Azubis wie vor 20 Jahren Wollknäuel und Bälle bemühen, muss nun wirklich nicht sein. Viel wichtiger ist aber die Umsetzung der digitalen Ambition von TRUMPF für eine echte Ausbildung 4.0. Hierzu gehören das Identifizieren von Handlungsfeldern, das Ableiten und Umsetzen von Maßnahmen wie etwa die bessere Vernetzung einzelner Berufsbilder mit digitalen Projekten oder auch die Digitalisierung der Ausbildungsinhalte und  prozesse.

Warum ist die Vernetzung von Ausbildungsberufen erforderlich? 
MAASSEN In der heutigen Zeit ist es enorm wichtig, ein Verständnis für andere Tätigkeiten zu entwickeln, denn unsere Produkte werden komplexer und die Abläufe in der Produktion auch. Die Grenzen zwischen den Fachbereichen und Berufen werden unschärfer. Das Basis-Know-how für eine Tätigkeit in der vernetzten Fertigung wollen wir bereits in der Ausbildungszeit vermitteln, damit die Berufsanfänger kompetent in den Beruf starten können. Ziel ist es, Ängste vor neuen Themen abzubauen und Silodenken abzuschaffen.

Wie viele Mitarbeiter werden in zehn Jahren noch ihren heutigen Job machen?
MAASSEN Keiner, auch wenn vielleicht noch dasselbe Etikett auf dem Job steht. Wir gehen davon aus, dass sich sämtliche Jobs wandeln, jedoch in unterschiedlicher Intensität. Natürlich entstehen auch völlig neue Tätigkeiten – wer hat beispielsweise vor zehn Jahren schon an Entwickler von Künstlicher Intelligenz oder Gesichtserkennung gedacht? Andererseits werden auch Berufsbilder durch den Einsatz von Technik abgelöst. Insofern kann es nur ratsam sein, sich beständig neue Kompetenzen anzueignen.

Wie verändert die Digitalisierung Ihr Geschäftsmodell?
MAASSEN Die Digitalisierung bestimmt unser Geschäftsmodell bereits seit Jahren. Sie manifestiert sich in all unseren Produkten, unabhängig davon, ob es sich um Werkzeugmaschinen, Lasersysteme oder den 3D-Druck mit Metall handelt. Mit unserer Kompetenz im Maschinenbau und unserem Wissen über Laser und Digitalisierung sind wir bestens aufgestellt und in der Lage, unseren Kunden passende Lösungen anzubieten. Das sind Softwarelösungen, datenbasierte Services von der digitalen Maschinenakte bis hin zu Smart-Factory-Lösungen und  Diensten. Unser Geschäftsmodell heute besteht aus Maschinen, Software und Services. 

Wie sehen die Mitarbeiter den Veränderungen durch die Digitalisierung entgegen? 
MAASSEN Gemischt. Die Digitalisierung bietet die Chance, ungeliebte Routineaufgaben zu vereinfachen oder zu automatisieren. Das erleben die Mitarbeiter als Erleichterung in ihren eigenen Arbeitsabläufen. Der Weg dorthin fällt mal leichter, mal schwerer. In unserer jüngsten Mitarbeiterbefragung sehen wir aber, dass die Mitarbeiter zum ganz überwiegenden Teil positiv und neugierig mit der Digitalisierung umgehen.

Wie qualifizieren Sie ältere Mitarbeiter für die Digitalisierung? 
MAASSEN Alle Mitarbeiter bei TRUMPF sollen Digitalisierung verstehen, verinnerlichen und leben. Unsere Angebote richten sich an Mitarbeiter mit wenig Vorkenntnissen und solche, die bereits Expertise mitbringen. Das ist erst einmal unabhängig vom Alter. Aber: Mit Reverse Mentoring haben wir auch ein spezielles Format, bei dem ältere Mitarbeiter von digital aufgewachsenen Auszubildenden lernen.

Hilft Ihnen das Qualifizierungschancengesetz der Bundesregierung?
MAASSEN Mitarbeiter fit für die Digitalisierung zu machen – die Idee des Qualifizierungschancengesetztes ist sehr gut. Leider hapert es an der Umsetzung: überbordende Vorgaben, fehlende Flexibilität bei der erforderlichen Zertifizierung und ein zehnseitiger Antrag für die Beantragung. Das macht es in der Handhabung gelinde gesagt schwierig.

Wie verändert sich die Unternehmenskultur durch die Digitalisierung? 
MAASSEN Jede grundlegende Transformation im Unternehmen hat Auswirkungen auf die Unternehmenskultur. Wir haben in diesem Jahr weltweit alle unsere rund 1 500 Führungskräfte in Zweitagesworkshops fit für die Digitalisierung gemacht. Rund die Hälfte der Zeit drehte sich eher um Führungs- und Unternehmenskultur, nicht um digitale Tools und Prozesse. Die Digitalisierung verlangt, dass wir uns mit neuen Formen der Zusammenarbeit, anderen Formen des Lernens, aber auch einer veränderten Bedeutung von Führung und Hierarchie auseinandersetzen. Wer glaubt, diese Veränderungen ohne ein begleitendes Programm für den kulturellen Wandel umsetzen zu können, wird Schiffbruch erleiden.

Wie verändert die Digitalisierung HR? Werden künftig die Führungskräfte Personalaufgaben weitgehend übernehmen? 
MAASSEN Das Ziel jeder guten Personalfunktion sollte es sein, sich selbst weitgehend überflüssig zu machen. Insofern steht die Befähigung der Führungskräfte natürlich ganz oben auf unserer Prioritätenliste. Dabei hilft es, wenn künftig noch mehr administrative Aufgaben von IT-Lösungen übernommen werden. Die globale Einführung unseres Personalmanagementsystems Workday war hierzu ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dadurch wird bei HR und den Führungskräften Arbeitszeit frei für mehr gemeinsames Arbeiten an strategischen Fragestellungen: von Potenzialerfassung und Mitarbeiterentwicklung bis hin zur Kulturarbeit.

NEUE BERUFSBILDER IN HR DURCH DIGITALISIERUNG

Die Digitalisierung wird mit ihrem Fortschreiten auch im Personalbereich zu neuen Berufsbildern und Arbeitsweisen führen – darauf müssen wir uns einstellen. Dabei ist es wichtig, dass wir nicht gleich jedem Pseudotrend hinterherlaufen, sondern verantwortungsvolle Entscheidungen treffen. So diskutieren wir im Team derzeit mehr über die ethischen Grenzen und moralischen Aspekte von Künstlicher Intelligenz als über ihren direkten Einsatz durch entsprechende Tools. 

TRUMPF hat sich mit mehreren Szenarien auf eine konjunkturelle Schwäche vorbereitet. Wie sehen diese aus und welche Folgen ergeben sich für die Mitarbeiter? 
MAASSEN Wir haben zur Vorbereitung auf eine Krise ein Programm aufgelegt, das alle Maßnahmen für bestimmte Krisenverläufe vorab definiert hat. Wir haben ihm den Namen „Koyer“ gegeben, nach den norddeutschen Deichbauern, deren Aufgabe es war, die Küste vor Sturmfluten zu schützen. Mit der Einteilung in drei Krisenstadien – Ertragskrise, Liquiditätskrise, Existenzkrise – haben wir anhand von Kennzahlen wie Wertbeitrag, Probabilität, Liquidität oder Eigenkapital festgelegt, wann wir Gegenmaßnahmen treffen. Je nach Stadium wurden verschiedene Maßnahmen auf Kosten- und Ertragsseite definiert. Sie reichen vom Abbau von Arbeitszeitkonten bis hin zur Kurzarbeit. 

Welches Szenario halten Sie derzeit für das wahrscheinlichste?
MAASSEN Im Moment befinden wir uns in der ersten Stufe der Krisenszenarien und damit in der Ertragskrise. Wir reagieren mit der Nichtnachbesetzung von Stellen, kurbeln den internen Transfermarkt an und bauen Leasingkräfte und befristete Arbeitsverträge ab. Zudem helfen uns in dieser Phase unsere gut gefüllten Arbeitszeitkonten – Zeitspeck, den wir uns in guten Zeiten für eine bevorstehende Krise zugelegt haben.

Als Markt- und Technologieführer ist TRUMPF ein hoch attraktiver Arbeitgeber. Gelingt es Ihnen, genug geeignete Kandidaten zu finden? 
MAASSEN Grundsätzlich ja, aber natürlich gibt es Ausnahmen. Jeder Arbeitnehmer, der heute Kompetenzen im digitalen Umfeld mitbringt, ist heiß umkämpft. Softwareentwickler und andere IT-Fachkräfte sind auch für uns schwer zu finden. Ein vielleicht überraschender Befund: Wir suchen Servicemitarbeiter für den technischen Kundendienst. Da unsere Kunden in aller Welt sind, ergeben sich spannende Auslandseinsätze. Leider finden sich trotzdem immer weniger Leute, die auf diese Herausforderung Lust haben.

TRUMPF geht Ausbildungspartnerschaften mit Schulen, bereits auch mit Grundschulen, ein. Welche Erfahrungen machen Sie hier? 
MAASSEN Wir haben über viele Jahre sehr gute Partnerschaften aufgebaut. Wir arbeiten in verschiedenen Konstellationen mit Schulen im regionalen Umfeld der TRUMPF-Standorte zusammen, häufig auch mit anderen Unternehmen. Wir müssen aber aufpassen, dass sich beim verstärkten Engagement der Unternehmen nicht die staatlichen Stellen aus der Verantwortung stehlen. Das Thema frühkindliche Bildung ist uns deshalb wichtig, weil wissenschaftlich bewiesen ist, dass Kinder im Grundschulalter bereits Neigungen zu bestimmten Themen entwickelt haben. 

BILDUNGSPROJEKTE BEREITS IM KINDERGARTEN

Klischees wie „Technik nur für Jungs“ haben hier bereits erste Formen angenommen. Daher setzen wir auch im Kindergartenalter Projekte an. Aufgrund der über Jahrzehnte kaum veränderten niedrigen Frauenquote bei MINT-Studien- und Ausbildungsgängen müssen Themen wie Technik und Naturwissenschaften auch und gerade bei Mädchen weiter platziert werden. Nach wie vor sind traditionelle Rollenbilder in unserer Gesellschaft fest verankert, und wenn Grundschüler in ihrem Umfeld keine Kontaktmöglichkeiten zu Technik bekommen, ist es schwierig, sie für das Thema zu begeistern.

Bereits die Azubis lernen den Umgang mit agilen Formen der Zusammenarbeit. Warum, und wie sieht das in der Praxis aus? 
MAASSEN TRUMPF hat den „Ausbilder Industrie 4.0“ auch deshalb installiert, um neue Formen des Arbeitens in unser Ausbildungskonzept zu integrieren. Die Azubis sind in den Fachbereichen eingesetzt. Da TRUMPF schon seit Jahren auf agile Methoden setzt, kommen sie gar nicht drum herum, und deshalb sind Scrum, Sprints und Design Thinking für sie auch keine Fremdwörter. Wichtig ist, dass die Azubis ein entsprechendes Methodenset erlernen und wissen, wie es am besten mit den klassischen Methoden gemixt werden kann. 

Sie sind seit über 20 Jahren in leitenden Positionen in HR tätig. Wie hat sich die Funktion in dieser Zeit gewandelt? 
MAASSEN Die HR-Funktion hat sich parallel zu allen Funktionen weiterentwickelt, wurde effektiver, effizienter und schneller. Zudem sind wir näher an das Business gerückt und transparenter geworden. HR als Black Box, wie ich es früher öfter gehört habe, gibt es nicht mehr. Was gleich geblieben ist, ist das Jammern um vermeintliche Augenhöhe und die Forderung, mit am Tisch sitzen zu wollen. Am Tisch sitzt der, der einen Beitrag bringen kann, dessen Meinung gefragt ist, der Lösungen anbietet, die für das Business einen Mehrwert besitzen. Hier sehe ich nach wie vor viel Luft nach oben für unsere Funktion.

Was begeistert Sie an HR? 
MAASSEN Es ist immer noch eine der vielseitigsten Aufgaben, die ich mir vorstellen kann. Und die Funktion hat eine große Gestaltungsmöglichkeit in der Transformation unserer Unternehmen. Das gilt übrigens nicht nur für den CHRO, sondern für jede und jeden in unserer Community. Und last but not least: Selbst nach gefühlt 10 000 Interviews habe ich immer noch Spaß, den Menschen, der mir gegenübersitzt, in seiner Vielfalt zu verstehen.

Welchen Rat würden Sie jungen HRlern mit auf den Weg geben? 
MAASSEN Weniger planen – und damit meine ich die eigene Karriere. Ich habe so viele junge Kolleginnen und Kollegen erlebt, die sich mit ihren genauen Vorstellungen der nächsten Schritte selbst im Weg standen. Wie wäre es, einfach mal darauf zu vertrauen, dass Leistung und Potenzial auch in HR gesehen und anerkannt werden? Wenn dieses Vertrauen allerdings nachhaltig enttäuscht wird, ist es auch an der Zeit, woanders hinzugehen.

Vielen Dank für das Interview! ●

Das Interview führte Werner Kipp.
 

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