Der Krieg in der Ukraine schockiert die Welt und bringt vor allem den Menschen in der Ukraine großes Leid. Er hat auch wirtschaftliche Folgen, die langsam spürbar werden und stellt Unternehmen sowie Personaler und Personalerinnen gleichermaßen vor völlig neue Herausforderungen. Fragen zur gesamtwirtschaftlichen Situation deutscher Unternehmen und Mitarbeitern vor Ort und deren langfristige Sicherheit stehen dabei im Vordergrund.
Nach einer interessanten Auftaktveranstaltung am 11. März mit Personalern und Personalerinnen zum Thema Ukraine-Krieg und dessen Folgen für Unternehmen und das HR Management, hat sich die DGFP vor einigen Tagen mit Personalvorständen und -geschäftsführungen der DAX40 und MDAX zu diesem Thema ausgetauscht.
Für alle Teilnehmenden stand die humanitäre Hilfe für die Menschen vor Ort, für Geflüchtete aber auch für die eigenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an erster Stelle. Die Fragen, wie Unternehmen im momentanen akuten Zustand helfen können, wie langfristig die Integration von Flüchtlingen gelingen kann und welche Unterstützung vor Ort gebraucht werden, standen bei der Diskussion im Fokus. HR habe hier die Aufgabe zu vermitteln, psychologische Unterstützung zu leisten und einen offenen kommunikativen Austausch anzubieten, so der einhellige Tenor der Teilnehmenden.
Die Hilfsbereitschaft der Gesamtbelegschaft und der Unternehmen sei enorm und um diese zu kanalisieren, haben die einzelnen Unternehmen Task Forces eingerichtet, um die Hilfsangebote zu bündeln und diese über die Anlaufstellen vor Ort und über Einrichtungen, wie zum Beispiel dem DRK oder UNICEF zu koordinieren.
Einen kurzen Überblick über die wirtschaftliche Situation, gab Dr. Volker Treier, Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V. mit seinem Impulsvortrag. Gleichsam riss er die bereits laufenden Hilfsaktionen kurz an.
„Russland ist das viertwichtigste Kapitalland für unsere Unternehmen und Niederlassungen außerhalb der Europäischen Union. 55 Prozent unserer Energie-Importe erhalten wir über Russland, wichtige Zulieferprodukte auch über die Ukraine. Die Sanktionen und ihre Folgewirkungen werden in den nächsten Wochen die deutsche Wirtschaft stark belasten,“ so die Prognose von Dr. Treier. Positiv sei jedoch die enorme Hilfsbereitschaft und der Wille zu helfen. „Wir haben seit 2015 sehr gute Strukturen zur Integration von Flüchtlingen aufgebaut, so dass wir gut vorbereitet sind. Wie haben Flüchtlingskoordinatoren, wir organisieren dezentral Hilfslieferungen und wir haben Plattformen geschaffen zur Information über Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel „Wirtschaft hilft“. Das ist eine gemeinsame Aktion der DIHK, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH),“ sagte Dr. Treier.
Um noch schneller und besser bei der Integration Geflüchteter auf den Arbeitsmarkt zu helfen, sei ein unbürokratisches Vorgehen notwendig. Dr. Treier sah hier noch Luft nach oben und befürwortete eine schnellere Umsetzung von Maßnahmen, wie zum Beispiel die Anerkennung von Abschlüssen und Arbeitsgenehmigungen für geflüchtete Ukrainer und Ukrainerinnen. Dem stimmten die Teilnehmenden zu. Es brauche ganzheitliche Ansätze zur Integration, insbesondere von Frauen mit Kindern. Hier ginge es nur sehr schleppend voran.
„Grenzen dürfen gerade keine Rolle spielen. Es braucht Tatkraft für die Flüchtlinge und zur Unterstützung vor Ort in der Ukraine. 50 Prozent sind noch produktiv, hier brauchen wir unbürokratische Hilfe, sonst haben wir unsere Aufgabe als Mensch nicht wahrgenommen,“ merkte Dr. Treier an.
Fast alle an der Gesprächsrunde teilnehmenden Unternehmen haben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Ukraine oder in Russland, was die HR-Verantwortlichen besonders beim produzierenden Gewerbe vor enorme Herausforderungen stellt. Viele Unternehmen stünden vor der schwierigen Entscheidung, Firmenstandorte in der Ukraine oder in Russland zu schließen, was langfristige Konsequenzen habe, sagte Carmen Rex, Director Group HR bei HeidelbergCement. Norbert Janzen, SVP Global Talentmanagement & HR-Transformation, METRO AG ergänzte: „Wir haben 10.000 Mitarbeiter in Russland und 3.400 in der Ukraine. Es ist wichtig eine transparente Kommunikation zu pflegen, um mögliche Missverständnisse zu den verschiedenen relevanten Themen unter den Mitarbeitenden zu vermeiden. Hier ist HR insbesondere gefragt, einen engen Draht in die Länder zu den Leitungsfunktionen zu haben, um Unterstützung in den Mitarbeiterbelangen, wo notwendig, schnell anbieten zu können“. Dr. Michael Prochaska, Vorstand und Arbeitsdirektor, ANDREAS STIHL AG & Co. KG, sah den Beitrag von HR vor allem darin, die Krisenprozesse zu steuern. Es sei grundsätzlich wichtig, die Marktsituation und die von Zulieferern im Blick zu behalten. „Das erste Gebot ist aber die Sicherheit der Mitarbeitenden,“ sagte Dr. Prochaska.
Die Teilnehmenden waren sich einig darüber, dass es mehr unbürokratische Unterstützung brauche. Um beispielsweise Unterbringungsmöglichkeiten für Mitarbeitende aus den betroffenen Ländern zu schaffen, wurden von einzelnen Unternehmen kurzfristig Hotels angemietet oder Büroetagen umfunktioniert, die aktuell nicht gebraucht werden.
Besondere Unterstützung bei der Integration müsse man Frauen mit Kindern zukommen lassen. Dr. Ariane Reinhart, Ressort Personal und Nachhaltigkeit, Arbeitsdirektorin, Continental AG, sprach sich dafür aus, die Kinderunterbringung in Unternehmen über Betriebliche Kindergärten zu organisieren. Dr. Bettina Volkens, Vorstandsvorsitzende der DGFP, Beraterin bei Quintum7, Aufsichtsrätin und Gründerin des Start-ups „endee Natural Dialogs“, regte an, kurzfristig Maßnahmen zu entwickeln, um Alleinerziehenden mit Kindern zu entlasten. Man müsse überlegen, wie man im Unternehmen gezielt geflüchtete Frauen mit Kindern in den Arbeitsmarkt integrieren könne.
Alle Unternehmen haben bereits mehrere Krisenstäbe eingerichtet, die sich mit sozialen und psychologischen, aber auch mit wirtschaftlichen Belangen befassen, um konzentriert und adäquat Unterstützung zu organisieren. Patenschaften-Programme und finanzielle Sicherheit von Mitarbeitenden seien ebenfalls Möglichkeiten, den Menschen zu helfen. Für alle Beteiligten des Gesprächsforum war klar, dass sich in den nächsten Wochen und Monaten abzeichnen werde, welche Herausforderungen auf die einzelnen Unternehmen noch zukommen. Außer Frage stand für die Teilnehmenden, die humanitäre Hilfe weiter voranzutreiben und auch die Mitarbeitenden in Deutschland mit einzubeziehen.