In der mobilen Arbeitswelt ist es (un)möglich abzuschalten

Spätestens seit Corona ist mobiles Arbeiten für viele Erwerbstätige normal geworden. Das führt dazu, dass die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatwelt verwischen. E Mails werden zu jeder Uhrzeit beantwortet, die wichtige Präsentation noch schnell nach dem Abendessen finalisiert. Lässt sich in einem solchen Umfeld überhaupt noch abschalten?

Das Problem

Die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird, hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Digitalisierung ermöglicht es, über zeitliche und physische Grenzen hinweg miteinander verbunden zu sein, was Anforderungen an Raum und Zeit neu definiert. Zudem sind viele Erwerbstätige ununterbrochen erreichbar, um mit den steigenden Anforderungen und der erhöhten Arbeitsintensität und  geschwindigkeit mitzuhalten (Reinke / Düvel 2022). Entsprechend verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben, und es fällt schwer, von der Arbeit abzuschalten (Kelliher / Richardson 2019; Kubicek / Tement 2016).

Die Wissenschaft

Das Abschalten von der Arbeit, das heißt die psychologische Trennung von der Arbeit in der arbeitsfreien Zeit, ist entscheidend für den Erhalt der psychischen und physischen Gesundheit, des Wohlbefindens, der Lebenszufriedenheit und der Leistungsfähigkeit von Erwerbstätigen (Karabinski et al. 2021; Reinke / Düvel 2022; Sonnentag / Fritz 2007). Abschalten bezieht sich nicht nur darauf, in der arbeitsfreien Zeit auf arbeitsbezogene Aktivitäten zu verzichten, sondern impliziert, dass die Arbeit mental hinter sich gelassen wird (Etzion et al. 1998). Abschalten ist somit eine Erholungserfahrung, die für Entspannung und die Verarbeitung von Arbeitsstress sorgt. In einer Ruhephase, ohne weitere Anforderungen aus dem Arbeitskontext, kann die Zeit genutzt werden, um Ressourcen wieder aufzubauen (Karabinski et al. 2021).

Die Praxis

Doch wie lässt sich Abschalten gewährleisten, wenn die Grenzen zwischen Arbeits- und Berufswelt nicht mehr klar zu erkennen sind? Mit diesem Wandel gehen auch viele Vorteile einher, die Erwerbstätige zu schätzen gelernt haben. Dennoch sollten Organisationen sich bewusst sein, wie wichtig Abschalten für die Produktivität und Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden ist, und Rahmenbedingungen für dessen Förderung schaffen. 

Gemäß der Metaanalyse von Karabinski et al. (2021) spielt das Thema der aktiven Grenzgestaltung eine zentrale Rolle. Führungskräfte müssen verstehen, dass sie mit ihrem Verhalten und ihren Erwartungen die Grenzgestaltung und Erreichbarkeit ihrer Mitarbeitenden implizit und explizit beeinflussen (Reinke / Düvel 2022). Sie sollten daher gesunde Grenzgestaltung fördern und als Vorbilder agieren. 

Gleichzeitig müssen sich Mitarbeitende mit ihren eigenen Grenzen auseinandersetzen und diese kommunizieren. Maßnahmen wie ein fester Arbeitsplatz im Homeoffice, klar kommunizierte Erreichbarkeitszeiten oder Rituale, die den Übergang in die Freizeit signalisieren, sind einige von zahlreichen Strategien zur aktiven Gestaltung von Grenzen (Reinke / Düvel 2022). Letztlich muss auf organisationaler Ebene eine Kultur geschaffen werden, die eine gesunde Grenzgestaltung ermöglicht. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass Abschalten auch in einer mobilen Arbeitswelt möglich ist. Das lässt sich – gerade angesichts steigender Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen – nicht oft genug wiederholen.


Literatur

Etzion, D. / Eden, D. / Lapidot, Y. (1998): Relief from job stressors and burnout: Reserve service as respite, in: Journal of Applied Psychology, 83 (4), 577-585

Karabinski, T.et al. (2021): Interventions for improving psychological detachment from work: A meta-analysis, in: Journal of Occupational Health Psychology, 26 (3), 224-242

Kelliher, C. / Richardson, J. (2019): Work, working and work relationships in a changing world, New York

Kubicek, B. / Tement, S. (2016): Work intensification and the work-home interface, in: Journal of Personnel Psychology, 15 (2), 76-89

Reinke, K. / Düvel, B. (2022): Always Online: Abschalten in einer mobilen Arbeitswelt, in: Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 29 (3), 397-407

Sonnentag, S. / Fritz, C. (2007): The recovery experience questionnaire: Development and validation of a measure for assessing recuperation and unwinding from work, in: Journal of Occupational Health Psychology, 12 (3), 204–221

 

Der Fachartikel erschien zuerst in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG 11/2022.

Autorin: Claudia Diederichs, Consultant bei HRpepper Management Consultants, Berlin

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