Agilität zu skalieren ist (nicht) immer sinnvoll

Bei der Anpassung der Arbeitsweisen von Unternehmen an aktuelle Veränderungen können heute zahlreiche agile Frameworks unterstützen. 2021 untersuchten die Wissenschaftler Ömer, Putta, Paasivaara und Matthes die Evolution von über zwanzig dieser agilen Frameworks. Sie diskutierten Vorteile und Herausforderungen der skalierten Modelle – mit einem Fazit, das für alle gleichermaßen gilt.

Das Problem

Ob Scrum, Kanban oder Crystal – in den letzten zehn Jahren wurden agile Methoden in vielen Organisationen eingeführt, vor allem in Unternehmen mit sich stark veränderndem Marktumfeld wie der Software- oder Automobilbranche. Allerdings wurden diese agilen Ansätze oft in kleinen Organisationen oder organisationalen Einheiten mit weniger als 50 Personen etabliert, hauptsächlich um Softwareprodukte zu entwickeln. 

Das Ziel der agilen Produktentwicklung ist in der Regel, die Transparenz und Geschwindigkeit im Prozess zu erhöhen sowie Risiken und Fehler zu minimieren. Den Erfolg, den Organisationen mit der Anwendung agiler Methoden in kleinen, abgegrenzten Bereichen hatten, inspirierte viele, diese auch in größeren Bereichen einzusetzen oder sogar ihre gesamte Organisation agil aufzustellen. Um agile Methoden zu skalieren und so auch für große Projekte und Organisationen anzuwenden, wurden in den vergangenen Jahren diverse skalierte agile Methoden wie SAFe (Scaled Agile Framework), LeSS (Large Scale Scrum) oder ETF (Enterprise Transition Framework) entwickelt – mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausrichtungen (Ömer et al. 2021). 

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass bereits die Einführung agiler Frameworks häufig von Herausforderungen geprägt ist, sie etwa aufgrund der Komplexität der Modelle scheitert (Ömer et al. 2021). Die Einführung ist daher oft zu teuer und kostet zu viele Ressourcen. Anwendenden mangelt es an Wissen, da zu Beginn die entsprechende Transformationsbegleitung und Trainings fehlen. Und häufig steht das Managementteam nicht vollständig hinter der Entscheidung. Es lebt das agile Mindset selbst nicht vor. Denn agil zu arbeiten, bedeutet, eine Umverteilung von Verantwortung und ein Loslassen von alten Strukturen.

Die Wissenschaft

Dennoch gibt es Beispiele, die zeigen, dass die Einführung von agilen Methoden in größeren Organisationen erfolgreich verlaufen kann. Junker et al. (2022) haben ein Unternehmen mit mehr als 4000 Mitarbeitenden bei der agilen Transformation begleitet und agile Methoden in allen Abteilungen des Unternehmens, einschließlich der Personal, Finanz- und IT-Service-Abteilung, etabliert. Die Transformation wurde in vier Phasen unterteilt. Dabei war es den Teams selbst überlassen, mit welchem Tempo sie die vier Phasen durchlaufen. Am Ende jeder Phase mussten die Teams durch ein sogenanntes „Quality Gate“, einen internen Bewertungsprozess, gehen, bevor sie zur nächsten Phase übergehen konnten.

Das Ziel von Phase 1 war, das Engagement für den Veränderungsprozess unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass im Team mit der Umsetzung agiler Arbeitsweisen begonnen wurde. Nach Phase 2 sollten Rollen und Kernaufgaben geklärt sein. Nach Phase 3 sollten die Teams in ein Netzwerk von weiteren Teams im Unternehmen integriert sein und ihren beruflichen Entwicklungsbedarf geklärt haben. In Phase 4 sollten interne und externe Kunden die Effizienz des Teams bestätigen (Junker et al. 2022).

Die Praxis

Bei dem strukturierteren Ansatz, der bei dieser agilen Transformation gewählt wurde, ist spannend, dass neben der Einführung von agilen Methoden, also dem „Was“, auch das „Wie“ eine große Rolle spielte. Dadurch dass die Teams proaktiv ihre Transformation hin zur agilen Organisation begleitet haben, waren ihr Commitment und ihre Akzeptanz zu der Veränderung hoch. Deutlich wird dies in den Ergebnissen der Studie, in denen Junker et al. zeigen, dass die Teams effektiver arbeiten und eine bessere Performance haben als die Vergleichskohorte. Sinnvoll ist die Skalierung von agilen Methoden in Organisationen also nur dann, wenn sie clever eingeführt und begleitet wird.


Literatur

Junker, T. L. et al. (2022): Agile work practices and employee proactivity: A multilevel study, in: Human Relations, 75 (12), 2189-2217

Ömer, U. et al. (2021): Evolution of the agile scaling frameworks, in: Gregory, P. / Kruchten, P. (Hg.): Agile processes in software engineering and extreme programming, Cham / Schweiz, 123-139
 

Der Fachartikel erschien zuerst in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG 02/2023.

Autorin: Sara Ivers-Tiffée, Senior Consultant bei HRpepper Management Consultants, Berlin

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