Vom Prompt zur Transformation in HR

7 Fragen in 7 Minuten #22 - mit Julia Tammeveski, zertifizierte KI-Expertin im HR von we era
Viele reden über Prompts und Tools, wenige über den richtigen Umgang mit KI. Für HR wird es im kommenden Jahr ab August 2026 wichtig, gut auf den European AI Act vorbereitet zu sein. Doch was heißt das eigentlich konkret?
Antworten gibt Julia Tammeveski, zertifizierte KI-Managerin mit Schwerpunkt HR. Im Vorfeld der DGFP // HR Digital & AI Conference erklärt sie, welche Missverständnisse rund um KI-Einführung bestehen und wie wichtig es für HR ist, jetzt in puncto KI-Kompetenz und Compliance einzusteigen.
Wer Julia Tammeveski live erleben möchte, kann sie am 20. November 2025 im Roundtable „Vom Prompt zur Transformation in HR“ auf der DGFP // HR Digital & AI Conference 2025 sehen. Die Konferenz für Digitalisierung und KI im HR-Management bringt EntscheiderInnen und ExpertInnen zusammen, um über die Chancen und Risiken von KI im Personalwesen zu diskutieren – von Governance über Compliance bis zu neuen Formen der Zusammenarbeit.
“Viele setzen bei KI als Erstes auf Tools, dabei sind es erst einmal gar nicht die Tools, die wichtig sind.”
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1. Liebe Julia, dein Roundtable trägt den Titel „Vom Prompt zur Transformation in HR“. Welche Fehlannahmen über KI willst du dort unbedingt geraderücken?
Julia: Viele setzen bei KI als Erstes auf Tools, dabei sind es erst einmal gar nicht die Tools, die wichtig sind. Es geht vielmehr um eine solide KI-Kompetenz, die von einem grundlegenden Verständnis zu den Arbeitsweisen und Möglichkeiten von KI, über Risiken, Recht & Datenschutz bis hin zu praktischer Anwendung reicht. Im Austausch mit HR-Professionals sehe ich zum Beispiel oft, dass viele sich schnell begeistert von Tools zeigen, die Bewerbungen vorscreenen und auswählen können. LinkedIn ist voll von Ideen und Lösungen rund um KI, die weder für HR noch grundsätzlich in Europa geeignet und realisierbar sind. Das Beispiel Candidate Scoring ist komplex und kritisch zu betrachten: denn eine KI darf laut KI-VO keine finale Entscheidung treffen. Das wissen die meisten HR-Professionals allerdings noch nicht. Genau hier setzt KI-Kompetenz an.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Personalabteilungen, ein gutes Verständnis der Rahmenbedingungen zu entwickeln und sich auf den Stichtag Anfang August 2026 vorzubereiten. Denn bis dahin greift die KI-VO. Was zunächst wie eine lästige Pflicht wirkt, bedeutet in Wahrheit viel mehr für ein HR der Zukunft mit KI. Es geht um Vertrauen und Transparenz gegenüber Bewerbenden und Mitarbeitenden und ein Abwägen für oder gegen den Einsatz von KI in unterschiedlichen HR-Bereichen.
“Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Personalabteilungen, ein gutes Verständnis der Rahmenbedingungen zu entwickeln und sich auf den Stichtag Anfang August 2026 vorzubereiten.”
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2. Erlaube mir eine kritische Zwischenfrage: ‚Erst Governance, dann loslegen‘ klingt nach einem frommen Vorsatz. In der Realität nutzen viele Unternehmen längst KI oder scheitern daran, ihre Mitarbeitenden mitzunehmen. Machen sich Unternehmen damit nicht selbst das Leben schwer?
Julia: Im Gegenteil. Unbedachter KI-Einsatz kann schwerwiegende Folgen für Menschen und Unternehmen haben. Ein Beispiel: In den USA deckte ein Bewerber auf, dass seine Bewerbungen von einem KI-System automatisch abgelehnt wurden, aufgrund eines diskriminierenden Bias im Algorithmus. Daraus entstand eine Sammelklage gegen den Anbieter von KI-Screening-Software („Mobley v. Workday“), die nun vor Gericht steht. Solche Beispiele zeigen: Wer auf Abkürzungen setzt, riskiert Vertrauen und Zeit.
3. Worauf kommt es deiner Meinung nach an, damit aus Prompts echte Transformation wird?
Julia: Eines der wichtigsten Erfolgskriterien – das sehen wir immer wieder bei KI-Projekten – ist, dass nicht Einzelne KI lernen, sondern Alle im Team gemeinsam. KI ist ein kollaboratives Projekt. Der Eine lernt etwas aus dem Prompt eines Anderen, oder aus den Fehlern des Teams beim Prompten. Nur so kann KI in einer Personalabteilung erfolgreich werden. Ich erlebe es zum Beispiel immer wieder, dass eine Person im Team schon recht viel mit KI ausprobiert, andere aber noch (fast) gar keine Berührungspunkte haben. Eine Person im Team denkt also über Anwendungsfälle nach, die sie in ihrer Arbeit braucht und experimentiert für sich. Erst im gemeinsamen Experimentieren und Weitertragen entsteht aber kollaboratives Lernen, das letztlich zum Erfolg führt. Ganz oft sehe ich das in meinen Workshops: Wenn jemand plötzlich einen sehr spannenden Prompt entwickelt, können andere Teammitglieder direkt davon profitieren. Es wird möglich, etwas Gemeinsames aufzustellen. Das ist das Ziel beim Lernen mit KI.
“Eines der wichtigsten Erfolgskriterien – das sehen wir immer wieder bei KI-Projekten – ist, dass nicht Einzelne KI lernen, sondern Alle im Team gemeinsam.”
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4. Was ist eigentlich mit Unternehmen, die sich entscheiden, gar keine KI einzuführen?
Julia: Das fördert Schatten-KI. Mitarbeitende nutzen KI ganz sicher auch ohne Erlaubnis, das erlebe ich jeden Tag in meinen Trainings: aber im Schatten, ohne klare Leitplanken, mit den Daten von Unternehmen. Dazu habe ich erst kürzlich eine Studie von Cybsafe gelesen. Fast 40 % der Mitarbeitenden in Unternehmen weltweit nutzen ohne Erlaubnis sensible und personenbezogene Daten im Job. KI verbieten ist also ganz sicher nicht die Lösung wie man anhand der Studie erkennen kann. Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben. Der beste Weg ist das konsequente Einbeziehen aller Mitarbeitenden: von Anfang an. Die größte Herausforderung in vielen Unternehmen ist dabei eine offene Test- und Fehlerkultur. Es braucht gemeinsame Lernräume, Austausch und vor allem regelmäßiges, kontinuierliches Lernen. Denn stetiges Lernen ist die Lösung einer guten Zukunft der Arbeit.
“Mitarbeitende nutzen KI ganz sicher auch ohne Erlaubnis, das erlebe ich jeden Tag in meinen Trainings.”
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5. Bei welchem Thema revidieren Teilnehmende bei deinen Workshops besonders oft ihre Meinung?
Julia: Sehr häufig beim Thema Daten. Data Literacy ist eine der wichtigsten Kompetenzen unserer Zeit. Nehmen wir noch einmal das Thema Anonymisierung von Daten. Viele denken: „Wenn wir Namen und Adresse in Lebensläufen schwärzen, reicht das.“ Das erlebe ich bei jedem Training. Sehr viele HR-Professionals wissen nicht, dass alle Daten in einem Lebenslauf personenbezogen sind. KI ist meisterhaft darin, Muster zu erkennen und Rückschlüsse auf eine einzelne Person zu ziehen. Ein Aha-Moment in jedem meiner Trainings: Teilnehmende erkennen, dass KI-Kompetenz bedeutet, Risiken zu verstehen und diese zu vermeiden
6. Du hast zu Beginn von KI-Tools gesprochen, die nicht der erste wichtige Schritt beim Einführen von KI in HR sind und die oftmals zu sehr in den Fokus gerückt werden. Was wäre denn ein Beispiel von verbotener Künstlicher Intelligenz im HR?
Julia: Ein abschreckendes Beispiel in der KI ist die Emotionserkennung. Diese kommt zum Beispiel in chinesischen Schulen zum Einsatz. Die Gesichtsausdrücke der Kinder werden alle 30 Sekunden gescannt, Abweichungen protokolliert und die Eltern einberufen. Emotionserkennung wird auch im HR eingesetzt, zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen. Das ist auf Basis des European AI Act in Europa aus gutem Grund verboten und zeigt, wie sinnvoll und wichtig unsere europäischen Rahmenbedingungen auch im HR-Bereich sind.
“Sehr viele HR-Professionals wissen nicht, dass alle Daten in einem Lebenslauf personenbezogen sind.”
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7. Zum Schluss etwas Persönliches: Was weiß fast niemand über dich?
Julia: Ein Teil meiner Familie kommt aus Estland, wo man schon seit über 20 Jahren digitaler Vorreiter ist und Daten sinnvoll nutzt, vor allem im öffentlichen Sektor. In Estland ist es für die Bevölkerung ganz selbstverständlich, Daten zu nutzen. Kinder lernen den verantwortungsvollen Einsatz bereits in der Schule. So entsteht ein Selbstverständnis, das ich mir auch für HR wünsche. Das Beste aus Mensch und Maschine bringt uns zukünftig zum Erfolg, davon bin ich überzeugt. Wenn wir jetzt damit beginnen, uns darauf aktiv einzustellen, können wir in HR nur gewinnen. KI ist die Chance für starkes Business Partnering im HR und mehr Zeit für den Menschen.
Weiterführende Informationen
Hier finden Sie weiterführende Links und Quellen, die im Interview erwähnt oder als HIntergrundwissen verwendet wurden:
Quellen
Europäische Kommission EU‑Artificial‑Intelligence‑Act: Regulierungsrahmen für vertrauenswürdige KI
Wall Street Journal Millions of Résumés Never Make It Past the Bots. One Man Is Trying to Find Out Why.
2019, Tagesspiegel Totale Überwachung in Chinas Schulen: Wenn Kameras jede Gesichtsregung auswerten
2019 Deutschlandfunk Alles unter Kontrolle: Chinas ‚intelligenter‘ Schule entgeht nichts