ERFA-Jubiläum: 70 Jahre ERFA, 50 Jahre Ehmann

Ein Interview mit Hans-Martin Ehmann
Seit nunmehr siebzig Jahren gibt es ERFA-Gruppen in der DGFP – und kaum jemand hat sie so kontinuierlich begleitet wie Hans-Martin Ehmann. Vor fünf Jahrzehnten stieg er als junger Personaler bei Hewlett-Packard (HP) ein – zunächst als kurzfristiger Ersatz in einer Runde, deren Bedeutung er damals kaum erahnte. Heute ist er einer der wichtigsten Repräsentanten dieses Formats.
Ehmann kennt die Qualitäten eines Netzwerks, das nicht nur Trends reflektiert, sondern auch historisch gewachsene Bindungen stiftet – ein Format, das Krisen überstanden, Moden überdauert und doch seinen vertraulichen Ton bewahrt hat. In diesem Gespräch führt er uns durch die Anfänge seiner ERFA-Erfahrungen, reflektiert den Wandel der Zeit, beschreibt die bleibende Wirkung kollegialen Austauschs – und gibt einen Ausblick auf das, was diese Gruppen auch in Zukunft bedeuten können.
Ein Gespräch, das uns in der DGFP noch einmal eindrücklich vor Augen führt, warum Erfahrungsaustausch nicht nur eine Methode, sondern Haltung ist. Und warum ERFA auch heute noch zu den tragenden Säulen moderner Personalarbeit gehört.
1. Rückblick – Anfänge & Erfahrungen
Herr Ehmann, erlauben Sie mir einen Einstieg über den Umweg eines Tippfehlers. Eigentlich wollte ich Sie fragen: „Erinnern Sie sich noch an Ihre erste ERFA-Sitzung?“ Doch mein Finger rutschte auf der Tastatur, und plötzlich stand da: „Wissen Sie, wie sie roch?“ Ein Irrtum – aber ein charmanter, wie ich finde. Was meinen Sie?
Ehmann (lacht.) Ein sehr charmanter Irrtum, in der Tat. Und ja – ich weiß das noch genau. Sie roch nach frischem Kaffee und nach Brezeln. Es war früh am Morgen, irgendwann Ende der Siebziger. Ich war blutjung, hatte gerade bei Hewlett-Packard (HP) angefangen – im Recruiting. Ich war eingesprungen für einen Kollegen, wusste kaum, was mich erwartete. Die anderen trugen Anzüge und Krawatten – ich nicht. Ich fühlte mich irgendwie deplatziert, aber auch: genau richtig.
Erklären Sie uns diese Ambivalenz.
Ehmann Obwohl ich mich äußerlich fehl am Platz fühlte, war die Atmosphäre offen. Ich durfte sogar gleich einen Vortrag halten – wir hatten damals Impulse aus den USA mitgebracht. Und das Bemerkenswerte: Diese Runde von damals – die trifft sich heute noch. Zweimal im Jahr. Ich bin inzwischen 75 – und immer noch der Jüngste.
Redet man da noch über HR?
Ehmann Mehr über Krankheiten. (lacht)
Wenn Sie zurückblicken: Was war Ihr größter Irrtum zu Beginn – und wer hat Sie auf den Boden der Tatsachen geholt?

Ehmann Ich hatte eigentlich nie eine Enttäuschung, aber ein Erlebnis hat sich mir eingebrannt. Ich hielt einen Vortrag – bei HP, unserem Haus, vor einem ERFA-Publikum. Und unter den Gästen: der damalige Personalleiter von Stihl. Ein kämpferischer, sehr klarer Typ. Ich erzählte voller Stolz von unserer Arbeit – und verglich sie mit dem Vorgehen anderer Unternehmen - auch mit dem von Stihl. Nach dem Vortrag kam er zu mir, sehr ruhig und sehr bestimmt, und sagte: „Was Sie machen, imponiert mir. Aber über mein Unternehmen – sprechen Sie nicht.“ Das war eine Lektion. Damals war vieles noch formeller, aber auch: verbindlicher. Und man lernte schnell, wie man weiterkommt und was man lieber bleiben lassen sollte.
Gab es einen Moment, in dem Sie gespürt haben: Das hier ist mehr als ein Netzwerk?
Ehmann Mehrere.
Damals war es ganz selbstverständlich, dass man sich gegenseitig in den Unternehmen besuchte. Und es war ebenso selbstverständlich, dass man anrief, wenn man Rat brauchte. Ich konnte Juristen, Personaler, Führungskräfte fragen– einfach so. Ohne Agenda, ohne Termin. Diese Verfügbarkeit, diese kollegiale Offenheit – das war Gold wert. Heute geschieht das in den Online-Communities auch, damals war die Nähe vielleicht noch unmittelbarer.
“Es war selbstverständlich, dass man anrief, wenn man Rat brauchte. Ich konnte Juristen fragen, Personaler, Führungskräfte – einfach so. Ohne Agenda, ohne Termin. Diese Verfügbarkeit, diese kollegiale Offenheit – das war Gold wert. Heute geschieht das in den Online-Communities.”
-
Was hat Sie all die Jahre gehalten – vielleicht sogar getragen?
Ehmann Diese besondere Form von Vertrauen. In den Runden konnte man Dinge sagen, die man sonst nirgendwo ausgesprochen hätte. Und manche dieser Gespräche – etwa über meine Selbstständigkeit, über persönliche Zweifel – waren prägend. Wir sind miteinander gewachsen.
Was haben Sie über sich selbst gelernt – durch die ERFA-Gruppen?
Ehmann Dass auch andere vieles richtig machen. Und dass Zuhören eine Kunst ist. Das Feedback aus der Gruppe – das war oft das ehrlichste. Und genau das habe ich geschätzt. Nicht alles war bequem. Aber alles war wertvoll.
Welche Frage hätten Sie sich früher öfter stellen sollen?
Ehmann Vielleicht: „Was wäre noch möglich?“ Ich war fünfzehn Jahre bei HP. Ich konnte mir lange kein anderes Unternehmen vorstellen. Hätte ich offener auf Angebote geschaut – wer weiß, was noch passiert wäre. Heute sehe ich, wie flexibel die jungen Leute sind, zum Beispiel meine Kinder. Und ich glaube: Das ist gut so.
2. Wandel – Zeitgeist & Transformation
Welche Themen wären vor zwanzig Jahren noch undenkbar gewesen, die heute ganz selbstverständlich diskutiert werden?
Ehmann Das Thema Wechseljahre zum Beispiel. Früher schlicht undenkbar. Nicht etwa aus Ablehnung – sondern weil gar keine Frauen dabei waren. Es war eine reine Männerrunde.
Und welche Themen standen schon damals auf der Agenda?
Ehmann Vieles. Wenn ich alte Protokolle lese, muss ich manchmal ungläubig den Kopf schütteln. Ein Beispiel: Homeoffice debattierten wir schon in den Achtzigern. Es ist erstaunlich, wie vieles wiederkehrt.
Wenn die ERFA-Gruppen ein Seismograph für HR-Trends sind – bei welchem Beben saßen Sie in der ersten Reihe?
Ehmann Bei mehreren. Die Arbeitszeitverkürzung war eines der großen Themen – weniger Stunden, früherer Renteneintritt, mehr Urlaub. Ich durfte das bei HP einführen. Ich erinnere mich, ich habe damals zur Veranschaulichung einen kartesischen Brunnen gezeichnet – sehr mathematisch, sehr ernsthaft. Später kamen systemische Impulse – aus der Systemtherapie, übertragen in die betriebliche Realität. Das hat die Personalentwicklung grundlegend verändert. Watzlawick war ein Schlüsselmoment. Und ich durfte all das aus nächster Nähe miterleben.
3. Mehrwert – Bedeutung & Wirkung heute
Was können ERFA-Gruppen, was keine KI, kein Podcast, kein Keynote leisten kann?
Ehmann Vertrauen. In unseren Gruppen stellt man Fragen – echte, persönliche Fragen – ohne Angst, sich zu blamieren. Man ruft sich an. Man kennt sich. Das ist etwas anderes als ein digitales Format. Diese Vertrautheit – die entsteht über Jahre. Und sie ist für mich der eigentliche Kern der DGFP-Arbeit. Als die regionalen Büros aufgelöst wurden, haben die Gruppen überlebt. Es sind nicht die Strukturen – es sind die Menschen.
Woran merken Sie, dass eine ERFA-Gruppe mehr ist als ein Kalendereintrag?
Ehmann An der Vorfreude. An der Traurigkeit, wenn jemand absagt. An der Euphorie beim Get-together. Präsenztermine sind anders – lebendiger, unmittelbarer.
Was hat Sie in einer ERFA-Gruppe zuletzt so beeindruckt, dass Sie es gleich weitererzählen mussten?
Ehmann Bei Stihl, ganz aktuell. Die Markenwelten, das Gebäude mitten in der Natur – beeindruckend. Und Michael Prochaska – ein Mann, der mit seinem Unternehmen verbunden ist, ganz selbstverständlich. Oder auch die Einladungskultur in den ERFAs: Ob Hochhäuser in Frankfurt oder eine einfache Kantine – man spürt: „Ihr seid uns das wert.“ Das hat Stil.
Wenn Sie die Wirkung der ERFA-Gruppen auf die DGFP in einem Satz zusammenfassen müssten …
Ehmann Dann würde ich mich an dieser Stelle wiederholen: Die ERFAs sind der Kern der DGFP.
“In unseren ERFA-Gruppen stellt man Fragen – echte, persönliche Fragen – ohne Angst, sich zu blamieren. Man kennt sich. Diese Vertrautheit entsteht über Jahre. Und sie ist für mich der eigentliche Kern der DGFP-Arbeit.”
-
4. Ausblick – Zukunft & Vermächtnis
Welche Frage sollte sich jede neue Generation von ERFA-Mitgliedern stellen, bevor sie den Raum betritt?
Ehmann Bin ich bereit, verbindlich zu sein? Heute melden sich viele an – und kommen dann nicht. Das ist schade. Ich wünsche mir mehr Verbindlichkeit. Und den Mut, Fragen zu stellen, auch unbequeme. Das macht den Reiz aus.
Was wünschen Sie den ERFA-Gruppen – etwas, das man nicht messen, aber spüren kann?
Ehmann Vertrauen. Dass man nicht nur eine Frage stellt – sondern Rat bekommt. Auch in persönlichen Fragen. Zum Beispiel bei einer Abfindung. Da entstehen echte Beziehungen. Das Wissen – das ist nie das Problem. Aber die Beziehungsebene – die ist kostbar.
Das Gespräch führte Dr. Elias Güthlein.
Mehr über die Geschichte von ERFA Mehr zum ERFA-Jubiläum