7 Fragen in 7 Minuten #4 – mit Ralf Steuer

Geschäftsführer der DGFP

Zum Start in das Neue Jahr haben wir Ralf Steuer (Geschäftsführer der DGFP) in sieben Fragen in sieben Minuten um Rück- als auch Ausblicke gebeten. In sieben Antworten resümiert, diskutiert und prognostiziert er, was HR in diesem Jahr bewegt hat, im kommenden Jahr bewegen wird und was ihn selbst antreibt. 

  1. Lieber Ralf, welchen Filmtitel würdest Du dem Jahr 2022 aus Sicht von HR geben?

„You are wanted“ (lacht) – das hängt aber weniger mit der Fernsehserie mit Matthias Schweighöfer und Alexandra Maria Lara zusammen als mit der Situation, die wir in diesem Jahr am Arbeitsmarkt erlebt haben und mit der sich Unternehmen wohl auch in den kommenden Jahren auseinandersetzen müssen: Überall werden Fach- und Arbeitskräfte gesucht. Das spiegeln nicht nur unsere veröffentlichten Job- und Skill-Barometer in Kooperation mit Textkernel wider (zum Beispiel zur Berufsgruppe HR.) – das bemerke ich tagtäglich, wenn ich in Berlin durch meinem Kiez im Schöneberg laufe: In fast allen Läden sind Aushänge zu sehen, auf denen Posten für Mitarbeitende ausgeschrieben sind. Mein Metzger hat aufgrund der derzeitigen Situation zum Beispiel seine Öffnungszeiten massiv einschränken müssen – sogar die Schließung droht. Der Arbeitskräftemangel ist Realität und war in diesem Jahr in Deutschland für mich so omnipräsent wie selten zuvor.

 

  1. Gibt es für Dich ein HR-Unwort des Jahres?

Tatsächlich gibt es eines: „Bewerber-Ghosting“. Der Wettbewerb nach Arbeitskräften ist nun schon seit längerer Zeit zu beobachten – deshalb brauchen sich Arbeitgebende nicht beschweren, wenn aufgrund der zunehmenden Fluktuation und der vielseitigen Beschäftigungsmöglichkeiten Bewerber*Innen nicht mehr zum Interviewtermin erscheinen – sie müssen handeln und Maßnahmen ergreifen, die schon seit längerer Zeit bekannt sind. Zwei Faktoren, die das sogenannte „ghosting“ bewirken, sind zum Beispiel zu langsame Reaktionszeiten auf Bewerbungen ebenso wie zeitaufwendige Entscheidungsprozesse zwischen HR und Hiring Management. Diese beiden Faktoren werden häufig unterschätzt. Und die Verantwortung wird zu schnell auf die Bewerbenden abgewälzt oder es wird gar von einem Werteverfall neuer Generationen am Arbeitsmarkt gesprochen. Dabei liegt es auch an den Unternehmen, das Commitment auf Seiten der Bewerbenden zu stärken.

 

  1. Was hat dich dieses Jahr in der DGFP besonders stolz gemacht?

In diesem Jahr sind das gleich zwei Dinge:

An erster Stelle bin ich stolz darauf, dass wir unser Qualitätsversprechen einlösen konnten: Wir haben den Anspruch, dass unser Portfolio an Veranstaltungen, Formaten und Studien Trends abbildet, antizipiert und vorhersagt. Das ist uns in diesem Jahr eindrucksvoll gelungen und lässt sich zum Beispiel anhand der Teilnehmendenzahl belegenWir konnten mehr als 18.000 Personalmanager*innen für unsere Veranstaltungen mobilisieren – das ist eine Teamleistung, auf die ich extrem stolz bin.

Das zweite Highlight stellt für mich die sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unserem Vorstand im Jahr zwei nach meinem Antritt dar. Unsere Zusammenarbeit zeichnet dabei besonders aus, dass wir immer im Blick behalten, einen Mehrwert für unsere Mitglieder zu stiften. Wir wollen gemeinsam thematische Impulse setzen, Veranstaltungen und Themen aktiv begleiten, wofür es eine konstruktive Atmosphäre braucht, die eine sachliche Auseinandersetzung ermöglicht und gute Entscheidungen auf den Weg bringt. Das haben wir in diesem Jahr zu jedem Zeitpunkt geschafft und das ist eine bemerkenswerte Errungenschaft, die man nicht hoch genug anerkennen kann.

 

  1. Was sind für Dich die wichtigsten HR-Themen in diesem Jahr, die auch das kommende Jahr bestimmen werden?

Das ist nicht leicht zu beantworten. Tatsächlich kann ich mich in meinen über dreißig Jahren Berufserfahrung im HR-Management nicht erinnern, dass es jemals ein derart buntes Themenspektrum gab, in dem alle Facetten die Agenda bestimmten. Aber natürlich gibt es Themen, die ich auf jeden Fall in die engere Auswahl stellen würde:

Das erste Thema ist der Arbeits- und Fachkräftemangel. Dadurch wird der Bedarf an Rekrutierungsexperten im HR-Bereich deutlich steigen. Das lässt sich etwa an einer Studie ablesen, die wir in diesem Jahr mit Textkernel durchgeführt haben. In diesem Zusammenhang sehen wir auch, dass sich bereits in diesem Jahr innerhalb von HR eigene Recruiting-Strukturen etablieren und die Recruiting-Arbeit der HR-Generalisten abgelöst wird. Darüber hinaus denke ich aber, dass sich Recruiting-Strategien und -Methoden kreativ anpassen müssen. Auf der diesjährigen DGFP // Jahrestagung Comp & Ben in München wurden hierzu entsprechende Anreizsysteme vorgestellt, die mit diesen Strategien und Methoden natürlich Hand in Hand gehen müssen. Denn nur wenn es Unternehmen schaffen in umkämpften Berufsfeldern (wie etwa unsere Studie für IT und Softwareentwicklung zeigt) attraktive Beschäftigungsbedingungen und Arbeitsmodelle zu bieten, können sie sich in diesen Engpassprofilen durchsetzen.

Das zweite Thema knüpft hieran an: Im nächsten Jahr werden die Mitarbeitendenbindung und das Erwartungsmanagement wichtiger denn je. Umfragen zeigen, dass nach der Pandemie weniger das Gehalt den entscheidenden Ausschlag gibt als Themen rund um die Work-Life-Balance. Hierzu gehören „mehr Zeit für die Familie“, „flexible Arbeitszeiten und flexibler Arbeitsort“, „der Arbeitgeber sorgt für mein Wohlergehen“ und „was ist der Purpose meines Arbeitgebers?“. Diese Themen sind im Vergleich deutlich wichtiger geworden.

Gleichzeitig beobachten wir, dass die Wechselbereitschaft der Beschäftigten noch nie so hoch war, wie das aktuell der Fall ist: Bis zu etwa 50% der Beschäftigten in KMU’s sind nach aktuellen Zahlen wechselbereit – und Mitarbeitende im HO, auch das belegen empirische Kennzahlen, gehören zu der Gruppe, die am stärksten zu einem Wechsel tendieren. Das ist eine riesige Herausforderung für HR. Es müssen die richtigen Instrumente gefunden werden, diesem Wertewandel zu begegnen und Entscheidungen zu treffen, welche Mitarbeitenden gehalten werden müssen. Die Zeit drängt massiv!

Das dritte Thema ist für mich in diesem Jahr: ESG (Environment, Social, Governance). Hier haben wir eine Studie in Kooperation mit der Bosten Consulting Group (BCG) durchgeführt, die belegt, dass Unternehmen noch stärker in die Umsetzung kommen müssen: Arbeits- und Gesundheitsschutz, gerechte Vergütung, Weiterbildung, die Wahrung von Menschenrechten oder auch das „geräuscharme“ Managen von Transformationsthemen durch HR – da alles sind strategische Themen, bei denen HR eine maßgebliche Rolle spielen kann. Leider, und auch das zeigt unsere Studie, ist HR dafür noch zu selten in die Unternehmensstrategie eingebunden und hat zu wenig Entscheidungskraft. Jenseits dieser Defizite hat HR aber auch immer einen eigenen Gestaltungsspielraum und ausgehend von den Studienergebnissen besteht Anlass zum Zweifel, ob dieser wahrgenommen wird. Spätestens jetzt müssen drängende Fragen geklärt werden: Sind HR-Bereiche ausreichend vorbereitet? Liegen ausreichend ZDF[EG1]  vor, um Arbeitsweisen und Prozesse nachhaltig zu machen? Agiert HR strategisch genug und wird die People Relevanz deutlich? Hier gibt es aus meiner Sicht großes Potenzial für HR, wobei man auch sagen muss: Es besteht mehr denn je großer Handlungsbedarf.

Das vierte und letzte Thema lautet für mich wie auch in den vergangenen Jahren: „HR goes digital“. Manuelle Workarounds und Excel basierte Arbeitsweisen müssen in einer deutlich höheren Geschwindigkeit von cloud-basierten HCM-Systemen abgelöst werden. Auch hier zeigt unsere diesjährige Studie mit BCG (s.o.), dass 58% der Unternehmen noch immer keine HCM-Lösungen eingeführt haben, obwohl 87% der HCM-Nutzer*Innen bestätigen, dass sie damit deutlich unterstützt werden. Das ist paradox und muss sich ändern, denn: Wenn wir auf der einen Seite wissen, dass die Bedeutung von Technologien für HR immens ist, können wir auf der anderen Seite nicht davor zurückschrecken die entsprechenden Investitionen zu tätigen. Genau das ist aber gegenwärtig der Fall: Unternehmen schrecken vor den notwenigen Invests zurück. Darunter leiden letztlich die digitale Kompetenz und auch die Akzeptanz aller Beschäftigten. HR hat hier eine klare Vorbildfunktion und kann ein Zeichen setzen, wenn sie die digitale Transformation in ihrem eigenen Bereich vorlebt. Erst dann kann HR auch die digitale Transformation aller anderen Unternehmensbereiche glaubwürdig vorantreiben, begleiten und unterstützen.

Über diesen engeren thematischen Radius hinaus werden im kommenden Jahr zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen natürlich auch die Arbeitsmodelle im Neuen Normal nach der Pandemie, die Aus- und WeiterbildungDiversity oder auch Next Level Leadership im Blickpunkt bleiben.

  1. Was hat das vergangene Jahr einzigartig für die DGFP gemacht?

Zunächst einmal unser Jubiläum: 70 Jahre DGFP. Damit ist für uns auch eine wichtige Erkenntnis gereift: dass der Austausch über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus auch nach 70 Jahren noch immer maximalen Mehrwert für die Arbeitspraxis in HR stiftet. Die Erfolgsgeschichte der DGFP ist dabei eng verbunden mit der Erfolgsgeschichte von HR in Deutschland. Unser Verband hat hier zu einigen Meilensteinen beigetragen und wir sind stolz, dass wir es seit der Gründung geschafft haben, immer noch der größte HR-Fachverband in Deutschland zu sein.

 

  1. Welche Veranstaltung erwartest Du mit Spannung?

Zwei Kompetenzforen, die beide im Januar stattfinden, für mich aber nicht den Höhepunkt, sondern vielmehr den Auftakt unseres vielseitigen Programms bilden.

Auf der einen Seite betrifft das unsere DGFP // Female Empowerment Conference vom 10 bis 12. Januar. Das Veranstaltungsteam hat sich in der Vorbereitung mit sehr viel Herzblut ins Zeug gelegt und konnte sogar ein Expertenstatement in der Beilage des Handelsblatts platzieren. Das Thema hat (leider) nichts an seiner Aktualität verloren: Zwar erleben wir Fortschritte, andererseits müssen wir auch eingestehen, dass Frauen immer noch in typisch weibliche Verhaltensmuster gedrängt werden. Hier wollen wir mit unseren handverlesenen Speakern zeigen, dass es auch anders geht. Und das wird gut angenommen: An der sehr hohen Teilnehmendenzahl sehen wir, dass das Thema „Gender Equality“ absolut zeitgemäß ist und das HR-Bereiche aller Branchen und Unternehmensgrößen etwas verändern möchten.

 Das zweite Kompetenzforum, das ich mit Spannung erwarte, ist ein „Spin Off“ aus verschiedenen anderen Themenfeldern und nimmt vom 24. bis 26. Januar „Employee Retention“ in den Fokus. Dabei hat es unser Veranstaltungsteam wieder einmal geschafft, Praxisbeispiele zu kuratieren, die den Spannungsbogen des Diskussionsverlauf sicherlich nicht abfallen lassen.

 

  1. Was motiviert dich in deiner Funktion als Geschäftsführer besonders?

Die Faszination voneinander zu lernen. Wie häufig habe ich mich in meiner Arbeit selbst gefragt, ob wir an den richtigen Themen mit den richtigen Lösungsansätzen arbeiten. Manchmal war es schon hilfreich, einfach nur bestätigt zu werden. Oftmals waren es aber auch Konzepte anderer Unternehmen zu gleichen oder ähnlichen Herausforderungen, die den entscheidenden Impuls für meine Arbeit gaben und viel wichtiger waren, weil sie die Vielschichtigkeit von Themenfeldern aufzeigten. Genau das ist der Reiz meiner Rolle bei der DGFP: für die richtigen, zeitgemäßen und auch drängenden Themen einen Austausch zu organisieren – getreu unserem Motto: „von der Praxis für die Praxis“. Denn so stiften wir einen Mehrwert für das HR-Management aller Branchen und Unternehmensgrößen. Wenn es uns dann noch besser gelingt, die Stimme für HR in Deutschland zu sein und das mit dem besten Team, das man sich vorstellen kann, dann ist das eine maximal schöne Motivation.

Das Interview führte Dr. Elias Güthlein

 

Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP)

Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP) ist seit 1952 das Kompetenz- und Karrierenetzwerk für HR-Begeisterte. In unserem Netzwerk engagieren sich DAX-Konzerne ebenso wie kleine und mittelständische Unternehmen, renommierte Wissenschaftsorganisationen und Beratungen, sowie zahlreiche Persönlichkeiten aus dem Personalmanagement. Mit unseren Mitgliedern und Partnern arbeiten wir an aktuellen Trends und HR-Themen, begleiten Personaler in ihrer Karriere und sind die Stimme des Personalmanagements gegenüber Politik und Gesellschaft. Der persönliche Erfahrungsaustausch steht im Zentrum unserer Arbeit. Dazu organisieren wir bundesweit rund 100 Erfahrungsaustausch-Gruppen, bieten diverse Veranstaltungsformate digital und in Präsenz an und bündeln in unseren Publikationen sowie Studien aktuelles HR-Wissen. Gemeinsam gestalten wir so die Arbeitswelten von heute und morgen.

Weitere Informationen unter www.dgfp.de

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