DGFP auf den Punkt: "Fokussiert. Wirksam. Menschlich."

HR im Stresstest der Zeit

In unserem regelmäßig erscheinenden Format "DGFP auf den Punkt" beziehen Vorstandsmitglieder der DGFP Stellung zu aktuellen Themen des Personalmanagements. In unserer aktuellen Ausgabe spricht Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht, Deutsche Bahn AG, über aktuelle Herausforderungen und Chancen sowie die Rolle des HR-Managements in Zeiten des Wandels.

Die jüngste „State of HR“-Studie der DGFP bringt eine ernüchternde Diagnose: Viele HR-Verantwortliche fühlen sich unterbewertet, überlastet und zunehmend entfremdet von ihrer Organisation. Fast die Hälfte der Befragten plant einen Jobwechsel. Das lässt aufhorchen – aber nicht überraschen. Denn was als vermeintlich HR-spezifische Krise erscheint, ist in Wahrheit Ausdruck einer tieferliegenden gesamtgesellschaftlichen Verunsicherung.

Die Welt wird komplexer, Entscheidungen kurzfristiger, Wandel zur Konstante. HR ist hier nicht Beobachter – sondern Mitgestalter. Das zu erkennen – und entsprechend zu handeln – ist Voraussetzung dafür, dass Unternehmen krisenfest, anpassungsfähig und zukunftsfähig bleiben. Und genau deshalb ist lebenslanges Lernen keine Floskel mehr, sondern Grundvoraussetzung für Zukunftsfähigkeit. Die Halbwertszeit von Qualifikationen sinkt. Nicht nur unsere Mitarbeitenden müssen sich weiterentwickeln – auch HR selbst.

These 1: HR muss ans Geschäft andocken

HR muss sich in erster Linie daran messen lassen, was es dem Kerngeschäft bringt. Für uns bei der Deutschen Bahn bedeutet das konkret: Wie tragen wir dazu bei, dass die Eisenbahn effizienter, zuverlässiger und zukunftsfester wird?

Wir stehen mitten in einer tiefgreifenden Transformation. Mit unserem Sanierungsprogramm „S3“ haben wir uns nichts Geringeres vorgenommen als die Wiederherstellung von Wirtschaftlichkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit – also der zentralen Leistungsversprechen unseres Unternehmens. Das erfordert eine Fokussierung auf das Kerngeschäft. Und das bedeutet: HR muss da sein, wo das Geschäft stattfindet.

These 2: Beidhändigkeit ist der Maßstab der Stunde

Während wir im Overhead gezielt Personal abbauen, rekrutieren wir gleichzeitig mit voller Kraft in operativen Schlüsselbereichen wie Bau, Instandhaltung, Stellwerke und Zugbetrieb. Beidhändigkeit ist gefordert – auch und gerade im HR-Bereich selbst. Transformation bedeutet nicht nur, den Wandel zu begleiten, sondern ihn aktiv zu gestalten. Das verlangt von HR ein klares Selbstverständnis: Als Ermöglicher, als Steuerungsinstanz, als Stabilitätsanker.

“Transformation bedeutet nicht nur, den Wandel zu begleiten, sondern ihn aktiv zu gestalten.”

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These 3: Resiliente Organisationen brauchen starke HR-Arbeit

Transformation gelingt nicht ohne Menschen. Und Menschen brauchen Orientierung, Verlässlichkeit und Perspektiven. Darum ist HR auch Drehscheibe für Kultur, Weiterbildung und Führung. Mit Programmen wie „Spurwechsel“ setzen wir gezielt auf die Qualifizierung unserer Führungskräfte. Unser internes Job-Service-Modell ermöglicht berufliche Umorientierung und soziale Abfederung in der Transformation. Wir bieten flexible Übergänge in die Rente, gestalten freiwillige Wechseloptionen fair und transparent – kurz: Wir sanieren mit Verantwortung.

These 4: HR muss sich selbst transformieren

Auch der HR-Bereich selbst ist Teil der Transformation – und zwar auf drei Ebenen: strategisch, kulturell und technologisch. Das bedeutet: weniger Doppelstrukturen, klar definierte Shared Services, ein fokussiertes Produktportfolio – und vor allem ein neues Betriebsmodell, das konsequent auf Wertschöpfung ausgerichtet ist. Unser künftiges People Operating Model ist fokussierter, digitaler und näher am Geschäft. Denn wenn HR als integraler Bestandteil des Geschäfts denkt und handelt, ist es auch nicht in einer schwierigen Lage – sondern Teil der Lösung. Der Anspruch ist klar: HR muss ein geschäftskritischer Erfolgsfaktor sein, der in Struktur, Haltung und Wirksamkeit sichtbar wird.

Vielfalt und Partnerschaft sichern Zukunftsfähigkeit

Vielfalt ist längst mehr als ein gesellschaftliches Anliegen – sie ist ein Wettbewerbsvorteil. 75 Prozent der Jobsuchenden achten bei der Wahl ihres Arbeitgebers auf Diversity. Für uns ist dies nicht nur ein Signal, sondern auch ein klarer Auftrag: Wir haben unser Ziel von 30 Prozent Frauen in Führungspositionen bis 2024 erreicht und streben 40 Prozent bis 2035 an. Vielfalt schafft Zugehörigkeit, Zugehörigkeit schafft Bindung – und Bindung ist heute wertvoller denn je. Denn: Bindung ist kein Selbstläufer mehr. Menschen wollen Sinn in ihrer Arbeit, Entwicklungsperspektiven und ein faires Miteinander.

“Vielfalt schafft Zugehörigkeit, Zugehörigkeit schafft Bindung – und Bindung ist heute wertvoller denn je.”

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Gleichzeitig bleibt Sozialpartnerschaft für uns ein zentraler Stabilitätsfaktor: Der Tarifabschluss mit der EVG für die gesamte Sanierungsphase konnte nach nur drei Verhandlungsrunden und ohne Arbeitskampf erzielt werden – ein starkes Signal gemeinsamer Verantwortung. Für das Unternehmen wie für die Mitarbeitenden. Diese Verantwortung schafft nicht nur Vertrauen, sondern gibt allen Beteiligten Orientierung und Halt im Wandel.

Fazit: Die größte Herausforderung wird zur größten Chance

Die Anforderungen steigen – auch an uns selbst. Aber das ist keine schlechte Nachricht. Es ist eine Einladung, HR neu zu denken: fokussierter, wirksamer, menschlicher. In der Krise zeigt sich, ob wir nur administrieren – oder tatsächlich gestalten.

“Die Anforderungen steigen – auch an uns selbst. Aber das ist keine schlechte Nachricht. Es ist eine Einladung, HR neu zu denken: fokussierter, wirksamer, menschlicher.”

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Sanierung ist kein Rückzug. Sie ist der Moment, in dem HR beweisen kann, was es leistet: als strategischer Partner, als Impulsgeber, als Stabilisator. Wer in schwierigen Zeiten Orientierung gibt, wird auch in besseren Zeiten Vertrauen genießen. Darin liegt die große Chance.

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